Ralf Jauck nennt sich „E-Learning-Manager“. In der Funktion hat er im RWE Weiterbildungszentrum erste Präsenztrainings zu ungewöhnlichen Blended-Learnings umgestellt. Die weiterzubildenden Handwerker müssen mit Tablet oder Smartphone im Betrieb Informationen einholen, und sich einen Mentor aus dem Betrieb suchen, der ihnen später bestätigen soll, dass sie das Gelernte auch anwenden.
Der Leiter Technische Weiterbildung bei RWE Power AG, Wilhelm Stock, hatte die Corporate Learning Community von HESSENMETALL für das Treffen im März 2016 nach Frimmersdorf eingeladen. RWE muss, wie andere Energie-Konzerne derzeit auch, Kosten sparen. Die Personaldecke wird immer dünner, da fällt jeder für Weiterbildung aufgewendete Arbeitstag richtig auf. Präsenzzeiten im Kurs müssen geringer werden.
Zielgruppe für Ralf Jauck sind Elektriker und Automatisierungstechniker, die für die Instandhaltung von Kraftwerken verantwortlich sind – mit hohem Altersdurchschnitt. Deren Problem: Es geht ja fast nie etwas kaputt. Und wenn doch, dann hat man längst vergessen, was zu tun ist. Zudem war Weiterbildung schon immer Präsenztraining. Man ist gewohnt, Technik zum Lernen in die Hand zu nehmen. Das hat sich geändert: Jeder Kurs von Ralf Jauck beginnt jetzt online – obwohl 60% der Zielgruppe nicht mal einen dienstlichen Email-Zugang hat. Aber noch mehr läuft heute anders.
Auftraggeber für Weiterbildung müssen sich erklären
Es genügt nicht, seine Mitarbeiter zum Kurs anzumelden. Nur wer in einer kurzen Video-Botschaft konkret erklärt, warum seine Mitarbeiter dieses Training benötigen, wird bedient. Mit dieser Botschaft des eigenen Chefs beginnt dann auch die Online-Phase eines jeden Trainings. Damit auch jeder dabei sein kann, wird bei der Anmeldung eine E-Mail-Adresse von jedem Teilnehmer gefordert, die er täglich abfragt. Das ist in der Regel die private E-Mail-Adresse. Darüber erhält man dann die Arbeitsaufträge und die Links zu Lern-Modulen, die man durcharbeiten muss.
Bring Your Own Device
Fürs Lernen darf jeder sein eigenes Tablet, Smartphone oder seinen Laptop nutzen. Wer keines dieser Geräte hat, bekommt einfach ein Tablet für die Zeit des Kurses gestellt. Übrigens nicht eingerichtet, das muss jeder Teilnehmer irgendwie selber hinbekommen. Niemand kann sich also der Nutzung digitaler Hilfsmittel beim Lernen entziehen. Wow, das hat überrascht.
Virtueller Kursstart
Weil doch für Einige noch ungewohnt, gibt es einfache Aufgaben zu Beginn per Email. Zum Beispiel wird gefordert, ein Bild der eigenen Anlage mit den im Kurs zu behandelnden Baugruppen zu posten. Oder bestimmte Fach-Fragen, die man nicht selbst beantworten kann, bei Kollegen im Betrieb zu stellen, und dann zu beantworten. Der Trainer – besser E-Learning-Manager – fragt nach, wenn Aufgaben nicht termingerecht gelöst wurden. Eine Aufgabe lautet: Suchen Sie sich einen Mentor im Unternehmen, der Ihnen später bestätigen kann, dass Sie das Gelernte auch am Arbeitsplatz umsetzen. Wer keinen findet, bekommt einen gestellt.
Lernen zu Hause gilt als Arbeitszeit
RWE hat hier eine wegweisende Betriebsvereinbarung: Jeder darf überall, auch zu Hause lernen. Die Zeit dafür wird als Arbeitszeit angerechnet! Das macht Sinn. Einerseits findet man außerhalb des Arbeitsplatzes viele besser geeignete „Lernumgebungen“, und andererseits ist gerade diese Zielgruppe zu Hause vermutlich mehr und besser mit IT-Technik ausgestattet, als im Betrieb. Ideale Voraussetzungen für die Nutzung von E-Learning. Vier Wochen hat jeder Zeit für die Online-Vorbereitungsphase. Nur wer die komplette Vorbereitung mit allen geforderten Lern-Modulen erledigt hat, darf zum Präsenz-Kurs-Teil kommen.
Kürzerer Präsenzkurs
Bisher wird zwar nur ein Tag eingespart, aber um diese Zielgruppe ans Online-Lernen zu gewöhnen, scheint das ein sehr kluger erster Schritt. Vier Tage sind es jetzt zum Hands-on-Lernen in der Gruppe. Damit jeder auch zeigt, dass er verstanden hat was er tut, müssen immer je 2 Teilnehmer gemeinsam regelmäßig ein Wiki mit ihren Erkenntnissen füllen. Ein erster Ansatz, um wohl später mal zu e-Portfolios für Mitarbeiter zu kommen.
Lange Transferphase für Handlungs-Kompetenz
Nach den vier Tagen ist aber erst gut die Hälfte der Weiterbildung erledigt. Jetzt schließen sich vier Wochen Transfer-Phase an. Hier gilt es, den vorher ausgewählten Mentor davon zu überzeugen, dass man mit dem Gelernten auch richtig handeln kann. Nur wenn der Mentor das bestätigt, gibt es das Zertifikat.
Das ist deshalb bemerkenswert, weil damit das Lernen nicht beim Wissen aufhört, sondern beim Handeln-Können in der Echt-Situation. Die sonst üblichen Klagen über mangelnden Lern-Transfer an den Arbeitsplatz dürften hier entfallen. Die Weiterbildungsabteilung zielt damit bewusst auf Handlungs-Kompetenz, an der sie sich messen lässt – und nicht an „Happy-Sheets“ am Ende des Trainings.
Zusammenfassung
RWE hat überzeugend dargestellt, wie es möglich ist, selbstgesteuertes E-Learning auch ganz selbstverständlich bei einer Zielgruppe einzuführen, die überwiegend keinen dienstlichen Inter- oder Intranet-Anschluss hat, eine lange Betriebszugehörigkeit und damit verbunden ein vergleichsweise hohes Alter. Gleichzeitig hat sich das Ziel der Weiterbildung auf im Echt-Job nachprüfbare Handlungs-Kompetenz erweitert. Viele nachahmenswerte Anregungen!
Ralf Jauck‘s Konzept kann man auch in diesem Video-Vortrag von ihm selbst erleben. .
Hallo Herr Pape,
sehr interessant der Bericht wie die Kollegen bei RWE vorgehen. Ich frage mich, weil auch wir bei uns in der Organisation Elearing stärker etablieren möchten, wie es um die Akzeptanz des Elearings bei RWE steht? Wie ist es den Kollegen dort gelungen den Kulturwechsel von der Präsenzlernwelt in andere Formate zu gestalten?
Gruß
Margrit Gregorian
Hallo Frau Gregorian,
vielleicht stellen Sie die Frage gleich direkt an Hn. Jauck https://www.xing.com/profile/Ralf_Jauck3, oder Hn. Stock https://www.xing.com/profile/Wilhelm_Stock2?sc_o=ps2867. Ich war sehr beeindruckt von dem beschriebenen Vorgehen, auch ältere Handwerker zum Online-Lernen zu Hause zu gewinnen. RWE stellt dafür notfalls das Tablet zur Verfügung und setzt ganz selbstverständlich voraus, dass man das schon hinbekommt. Die wenigen, die dann keine Rückmeldung geben, werden angerufen und persönlich unterstützt. Auch die verpflichtende Einbindung eines Mentors hat ja etwas von einer Selbstverpflichtung, die man dem Mentor gegenüber abgibt. Wer will dem gegenüber schon sagen, er habe das nicht geschafft. Sehr kluger Ansatz!