Software Entwickler, die auf Wanderschaft gingen

Software Craftsmanship lehnt sich an uralte Handwerker-Traditionen an. Das Auf-Wanderschaft-Gehen war lange nötig, wenn man Meister werden wollte. Das erfordert den Willen zum Lernen und zum Wissen-Teilen. Und es verteilt Wissen in der ganzen Branche. Daran erinnerten sich auch einige Software Craftsman und begaben sich auch auf die (deutlich kürzere) Wanderschaft.

Corey Haines: Zwei „Pair Programming Touren“

Corey Haines ging von 2008 bis 2009 auf Tour. Er berichtet auf seinem Blog ab dem 1.12.2008 darüber. Am 28. Dezember war seine Tour zu Ende. Auf insgesamt 30 kurzen Blogposts hat er seine Eindrücke – auch von den besuchten Menschen – beschrieben. Wenn ich es seinem Blog richtig entnommen habe, dann waren das 18 persönliche Experten-Kontakte in verschiedenen USA-Städten auf der ersten Reise. Auf den meisten seiner Stationen hat er Video-Interviews mit den Gastgebern erstellt.

Immer wieder beschreibt er Erfahrungen mit dem Pair Programming, ein für ihn wichtiger Teil des Lernens als Software-Handwerker.

Der Gastgeber Mike Bria war so beeindruckt, dass er am 18. Dezember 2018 einen Blogpost über Corey Haines Coding Tour mit der Überschrift: A Joureyman’s Pair Programming Tour schrieb. Ein Auszug:

The tour is the beginning of providing a mechanism for people to gain the benefits of the journeyman mentality, traveling and working with different people.
In essence, Haines is acting on a quite literal interpretation of the belief that software is craft, and one that can only be mastered through hands-on experience with different problems and exposure to the learnings of other craftsman.

Die Ankündigung der nächsten Tour von Corey Haines – diesmal nennt er sie „Pair Programming Toour“ soll vom 8.bis 19. Februar 2009 durch Florida gehen. Wieder bietet er seine Dienste für die Pair Progammierung an – gegen Unterkunft und Verpflegung: „Ein Hotel ist ok, aber ich bevorzuge den Aufenthalt bei meinen Gastgebern, um auch die Menschen außerhalb des Programmierens zu erleben.“

Immer wieder bedankt er sich öffentlich bei Sponsoren seiner Tour, natürlich mit dem Hinweis, dass er sich über weitere Unterstützer freuen würde.

Das Video mit dem ersten Gastgeber auf der zweiten Pair Programming Tour veröffentlicht er am 12. Februar 2009 auf seinem Blog . Wann seine Pair Programming Tour nun wirklich zu Ende ging, ist nicht genau ersichtlich. Das letzte Gespräch war wohl das mit Dave Hoover, dass er am 27. Februar wieder als Video veröffentlichte. 5 Treffen mit anderen Software-Experten zwischen ein und zwei Tagen waren das auf der zweiten Tour, wenn ich das seinem Blog richtig entnommen habe.

Eine schöne Zusammenfassung der Corey Haines Tour gibt Peter Kofler hier in diesem Blogpost, der auch gleich der Anstoß für seine eigene Craftsmanship-Tour ist.

Amitai Schleiers „Coding Tour“ in Europa

Amitai Schleier, ein selbständiger Software-Entwickler-Coach aus New York, hat in Anlehnung an die Wanderschaft früherer Handwerker 2018 eine sogenannte „Coding Tour“ durch Europa gemacht: Wer ihm Unterkunft und Verpflegung  gewährte, bei dem wollte er als Software-Entwickler mitarbeiten – ohne weiteren Lohn.

Diese Stationen der Coding Tour 2018 hat er in seinem Blog beschrieben:

Gastgebende luden ihn für jeweils ein ganze Woche ein. Seine Beiträge gingen dann meist an ganze Teams, die von seinem Wissen profitieren konnten.

 Auf seiner Tour hat er über „Mob programming“ gesprochen und wohl auch angeleitet. Wikipedia beschreibt das so:

„The basic concept of mob programming is simple: the entire team works as a team together on one task at the time. That is: one team – one (active) keyboard – one screen (projector of course).“

Mob programming ist eine Abwandlung vom „Pair programming„:
„Pair programming is a software development technique in which two programmers work together at one workstation. One, the driver, writes code while the other, the observer or navigator,[1] reviews each line of code as it is typed in. The two programmers switch roles frequently.“ Zitat aus Wikipedia

Daniel Temme auf 4 Wo „Journeyman Weeks Tour“ 2013

Daniel Temme hat in seinem XING-Profil ab August 2013 „Praktikum als Software Developer“ eingetragen. Im August veröffentlicht er seine Absicht, es Corey Haines nachzumachen, um seine Fähigkeiten als Software-Entwickler auszubauen. Auch hier das Angebot, nur gegen „ein Dach über dem Kopf“ als Softwareentwickler mitzuarbeiten. Er hatte gerade seinen Job aufgegeben, und wollte die Gelegenheit zum Lernen von Anderen nutzen.

Daniel Temme hat viermal eine Woche lang in verschiedenen Firmen mitgearbeitet. Ihm ging es wirklich ums eigene Lernen, was offenbar bei ihm auch funktioniert hat. Im letzten Post beschreibt er die Vorteile für die gastgebenden Unternehmen:
„For the host companies I think the benefits are more pronounced. It’s a cheap way to have an outsider come in and ask questions and potentially pick up on blind spots. This is something I think would even work for less experienced developers coming in (and would also work for other roles then devs). And fostering pairing is also something that is valuable, even though a lot of companies may not have picked up on that. Plus, I think showing that a company cares about learning is good advertising from a hiring perspective.“

Peter Koflers CodeCobTour 2013: 13 Wochen

Peter Kofler wird angeregt durch Corey Haines „Pair Programming Tour“. So etwas will er 2013 auch machen. Auch er will mitarbeiten nur gegen Kost und Unterkunft. Er nennt seine Pair Programming Tour „Code Cop Tour“. Die soll 2 Monate dauern, in Etappen von 2 bis 3 Tagen. Code Cop ist sein Markenzeichen.

Peter Kofler hat überwiegend mit anderen zusammen programmiert. Meist für 2 oder drei Tage. Und daneben noch Code Retreats und Kongresse besucht. Ein sicher anstrengendes Pensum, 13 Wochen lang.

Nicole Rauchs 2 Wochen Journeyman Tour

In diesem Podcast berichtet Nicole Rauch von Min 5:00 bis 24:00 von ihrer Journeyman Tour vor einigen Jahren. Sie wollte zu einer Software-Konferenz in London. Und wenn sie schon mal da ist, dann könnte sie doch 2 Wochen lang in verschiedenen Unternehmen bei der Softwareentwicklung als Pairing-Partnerin mitmachen. Der Plan ging auf: In 4 Companies hat sie mitgearbeitet. Eines ihrer Learnings: Die 4 Unternehmen hosten ihre Software selbst und geben den Kunden den Cloud-Zugang. Sie hat in ihren deutschen Unternehmen nur erlebt, dass Software an die Kunden ausgeliefert wird. Einmal im Jahr wird dann ein Update verteilt. In den englischen Unternehmen wurde das mehrmals täglich gemacht.

Sie sagt, es sei ihr nicht schwer gefallen die Londoner Unternehmen zu kontaktieren. Durch die Software-Konferenzen kannte sie ihre Ansprechpartner aus den Firmen.

Lennart Fridén: 6 Monate Journeyman Tour in 2015

Auch angeregt vom Beispiel Corey Haines, plant Lennart Fridén seine Journeyman Tour. Seine Tour begann mit einer Agile-Konferenz in Stockholm am 3. Juni 2015. Sie endete am 27. November in Edinburgh.

Das sind 6 Monate, die er oft in Schweden verbracht hat. Alle Stationen hat er in seinem Blog beschrieben, hier die Übersicht mit Links zu allen Blogposts der Journeyman Tour von Lennart Fridén.

Sal Freudenberg geht 2017 neun Tage auf Coding Tour

Hochachtung: Nach der Kinderpause geht die Mutter von drei Kindern auf Coding Tour, um sich in die aktuelle Software-Entwicklung einzuarbeiten. Auch Sie beschreibt ihre Stationen als Blogposts:

Sallyann Freudenberg scheint sehr schnell zu lernen. Jedenfalls reflektiert sie auch ihre persönlichen Schwierigkeiten, die sie beim Wiedereinstieg hatte.

Fazit

Einer muss es immer erst vormachen: Corey Haines hat mit seinen Pair Programming Touren etliche Software-Experten angeregt, das auch zu machen. Vermutlich viel mehr als ich hier entdecken konnte.

Pair-Programming (oder Mob-Programming) scheint ein begünstigendes Element dafür zu sein, fremde Software-Entwickler nicht nur schnell zu integrieren, sondern auch noch den Gewinn ungewohnter Sichtweisen zu erhalten.

Für die „wandernden Gesellen“ ist es auf jeden Fall eine Herausforderung, sich innerhalb weniger Stunden in völlig neue Themen einzuarbeiten, oft auch noch in neue Programmiersprachen und ungewohnte Tools – von der Integration in die jeweiligen Teams ganz abgesehen. Wer das mehrmals hintereinander gut besteht, dem kann man in jeden Fall persönliches Wachstum bestätigen. Intensiver Lernen geht nicht!

Wäre so eine „Wanderschaft“ in größerem Stil üblich, würde sich die ganze Branche noch schneller entwickeln. Jeder „Wandernde“ nimmt ja nicht nur Wissen auf, er oder sie verteilt das schon in den nächsten Stationen. Da fragt man sich, warum das nicht in vielen Branchen üblich ist?


Dieser Blogpost ist ein weiterer Baustein meiner Recherche zur Software Craftsmanship Bewegung im Rahmen des CLC-Projektes #MeinZiel23.

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