Nach Corona: Lernräume statt Lerninhalte gestalten?

(Dieser Blogpost ist zuerst auf colearn.de erschienen.)

Bild von PagDev auf Pixabay

In der derzeitigen Corona-Zeit arbeiten viele Mitarbeiter unter ungewöhnlichen Bedingungen, im Home-Office, fern von Chef und KollegInnen, in fürs Arbeiten nicht optimierten Umgebungen, mit Kommunikationstools, die viele vorher nie benutzt haben. Aber sie schaffen das. Allein. Ohne durchgearbeitetes Lernmodul.

Zwei Gedanken kommen da auf:

  • Wenn Mitarbeiter eine so große Herausforderung in so kurzer Zeit allein bewältigen – dann können die das auch sonst.
  • Die vielen so ungewohnt arbeitenden Mitarbeiter haben sich damit Kompetenz erarbeitet.

Kompetenz ist die Fähigkeit, auch in unvorhergesehenen Situationen selbstgesteuert angemessen zu handeln

Das Ziel von Personalentwicklung ist immer Kompetenzentwicklung. Nur an diesem Ergebnis werden wir Learning Professionals gemessen: Steigt die Handlungsfähigkeit der Mitarbeitenden? Nun könnten wir uns zurücklehnen und sagen: “Seht, wir haben die Mitarbeiter gut vorbereitet. Sie sind in der Lage auch diese ganz besondere Corona-Situation im wochenlangen Home Office zu beherrschen!”

Ich vermute, nur die wenigsten von uns werden sich das zu sagen trauen. Da haben sich Mitarbeiter ganz offensichtlich viel selbst erarbeitet – und das auch noch sehr schnell.

Was können wir Learning Professional daraus schließen?

  • 70:20:10 scheint zu stimmen. Selbst große Herausforderungen schaffen Mitarbeiter auch allein.
  • L&D hätte zum Fitmachen fürs Online-Arbeiten vermutlich Monate oder Jahre gebraucht.
  • Wir hätten auch nur das Wissen vermittelt, wie es geht: Die Kompetenz es zu tun, können wir nicht vermitteln.
  • Gab es eigentlich Lernmodule von uns, die Mitarbeiter in der Zeit für den Einstieg ins Online-Arbeiten genutzt haben?
  • Können wir die Mitarbeiter auf unvorhersehbare Harausforderung vorbereiten?

Die nächste „Unvorhersagbarkeit“ kommt bestimmt!

Was werden Führungskräfte daraus schließen?

In Richtung Mitarbeiter:

  • Hoher Druck hilft
  • Die können mehr als ich dachte
  • Ich sollte nicht so viel regeln
  • Die brauchen gar nicht so viel Vorbereitung
  • Das ist sogar produktiver

In Richtung L&D:

  • Jetzt ging das in Tagen. L&D hätte dafür Monate / Jahre gebraucht.
  • Vielleicht brauchen wir weniger Seminare.
  • Eigentlich müssten wir die Mitarbeiter beim Selber-Lernen unterstützen
  • Können wir das eigentlich auch selber – ohne L&D?

Corona wird ganz sicher nicht die letzte unvorhergesehene Veränderung eingeleitet haben.

Spätestens jetzt brauchen wir Learning Professionals eine klare Ausrichtung auf die Unterstützung der Kompetenzentwicklung von Mitarbeitern – auch für nicht vorstellbare Situationen. Das Aufbereiten von Wissen für Zielgruppen hilft da wenig. Kompetenz können Mitarbeiter nur selbst durch Handeln in unterschiedlichen Situationen aufbauen.

Wir könnten dafür – gemeinsam mit den Führungskräften – den Rahmen gestalten. Erforderlich ist:

  • Die Herausforderung für den Mitarbeiter (die echte Aufgabe)
  • Der nötige Handlungsspielraum für den Mitarbeiter (Lernzeit, Lernbudget, Lernkultur, …)
  • Zugang zu Wissensquellen, Experten und Netzwerken
  • Konstruktives Feedback, Bestätigung des Könnens

Herausforderungen, an denen Mitarbeiter wachsen können, gibt es in der heutigen Zeit am Arbeitsplatz i.d.R. mehr als genug. Es ist die Aufgabe jeder Führungskraft, die Herausforderungen auf die Mitarbeiter passend zu verteilen. Wir Learning Professionals können für die Mitarbeiter nur Begleiter sein, mit Angeboten, die es Mitarbeitern erleichtern, sich die nötigen Kompetenzen selbst zu erarbeiten. Damit wird auch klar, dass wir weder zum Lernen motivieren müssen (und auch nicht können), noch den Weg zum Ziel vorgeben müssen. Das Motiv ist immer das Erfüllen der gestellten Herausforderung. Und den Weg dahin können Lernende auch ganz ohne unsere Anleitung gehen, wie uns nicht nur Corona gezeigt hat.

Am Lernraum Arbeitsplatz entsteht Kompetenz – und nicht im Seminarraum

Wenn wir Learning Professionals Kompetenzentwicklung unterstützen wollen, müssen wir unsere Rolle als hilfreiche Unterstützer für Führungskräfte und Mitarbeiter am Arbeitsplatz neu definieren. Der Hauptort des Lernens ist der Arbeitsplatz. Also müssen wir auch dort sein. Mit neuen hilfreichen Dienstleistungen für Lernende.

Das ernst zu nehmen bedeutet für uns Learning Professionals, eine andere Rolle einzunehmen. War bisher die Führungskraft der Auftraggeber für uns, wird es in diesem Modell der Mitarbeiter. Lernende entscheiden selbst, welche Dienstleistungen ihnen hilfreich erscheinen auf ihrem Entwicklungsweg. Sie entscheiden sich ganz individuell, ob und welche Dienstleistungen sie von uns (oder auch von anderen) gern haben wollen. Als Auftraggeber können Sie unsere Leistung auch kündigen, wenn sie meinen, dass sie ihnen nicht mehr weiterhilft. Schließlich verfügen sie ja auch über das Budget, dass sie ganz gezielt dort einsetzen werden, wo sie den größten Nutzen für sich sehen. Und möglicherweise brauchen uns einige ja überhaupt nicht.

Eher Lernräume gestalten als Lerninhalte

Neben Lern-Dienstleistungen zur direkten Unterstützung von Lernenden, ist das Schaffen von lernförderlichen Rahmenbedingungen im Unternehmen eine gleichgewichtige zentrale Aufgabe für L&D. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Zeit fürs Lernen
  • Lernkultur im Unternehmen
  • Lern-Budgets
  • Lernen miteinander und voneinander (Communities, User generated Content, soziales Intranet,…)
  • Infrastruktur fürs Lernen (Wikis, Video-Equipment, Podcast-Equipment, Unterstützung beim Produzieren, …)

Das Aufbereiten und Vermitteln von Inhalten ist dann nicht mehr so wichtig. Das meiste gibt es ohnehin schon – gut aufbereitet.

Fazit

Wenn Mitarbeiter gewohnt sind, sich selbstgesteuert weiterzuentwickeln, dann werden sie das in der nächsten Krise ganz selbstverständlich auch tun. Mit dem Gestalten von lernförderlichen Bedingungen und einer ausgeprägten Lernkultur, leistet L&D einen wichtigeren Beitrag fürs Überleben eines Unternehmens als mit dem Vermitteln von Wissen.

Wir können den Arbeitsplatz und das ganze Unternehmen zum Lernraum machen!

Auch Prof. Werner Sauter macht sich Gedanken über „Corona und seine Konsequenzen für das Corporate Learning„.

Ein Gedanke zu „Nach Corona: Lernräume statt Lerninhalte gestalten?“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert