Dass der Umgang mit der eigenen Nutzer-Community keine Errungenschaft der digitalen Zeit ist, zeigte die Session von Volker Düspohl beim CommunityCamp 2011 in Berlin. Radio 1 ist eine öffentlich rechtliche Welle in Berlin/Brandenburg mit 130.000 Hörern in der durchschnittlichen Stunde. 40 Jahre alt, extrem gut gebildet, mit sehr gutem Einkommen, das ist der typische Hörer von Radio 1. Dazu gibt es noch die hohe Verweildauer von durchschnittlich 4 Stunden je Hörer am Tag (der Durschnitt der übrigen Radios liegt bei 160 bis 180 Minuten am Tag).
Radioeins begleitet die Hörer zu wesentlichen Zeiten des Tages. Entsprechend engagiert sind auch die Hörer für ihr Programm. Das gehört zu ihnen wie ihr Wohnzimmer. Hörer von Radioeins sind also Fans, sagt Volker Düspohl von Radioeins. Inzwischen hat Radioeins auch 18.000 sichtbare Fans auf Facebook.
Das alles sind natürlich gute Rahmenbedingungen für die Werbung im Radio. Entsprechend viele Angebote für Werbe-Blocks erhält die Redaktion. So viel, dass man aufpassen muss, dass Werbung für die Hörer gerade noch erträglich bleibt. Das führte zu einer großen Programm-Umstellung, einschließlich eines neuen Sound-Designs. Ohnehin scheint so eine Renovierung des Programms ab und zu notwendig, nur hat man sich diesmal entschieden das alles auf einmal zu machen. Jede Änderung ruft immer Protest bei den Hörern hervor. Man möchte Änderungen in seinem gewohnten „Wohnzimmer“ nicht zulassen. Also war man gefasst auf kritische Kommentare, die früher eben per Postkarte oder Brief in Massen kamen, aber erfahrungsgemäß nach einigen Tagen wieder abebben, wenn man sich an das Neue gewöhnt hat.
Diesmal aber wurde der Protest öffentlich auf Facebook. Viele Fans schlossen sich an, die Masse der ablehnenden Kommentare wuchs von Stunde zu Stunde. Unglücklicherweise zu der Zeit, als die Online-Redaktion wegen Krankheit und anderer Groß-Projekte nicht richtig arbeitsfähig war. Deshalb kam die erste Reaktion des Senders auch erst nach 2 ½ Tagen, als sich der Ärger schon so richtig aufgeschaukelt hatte. Natürlich viel zu spät im Zeitalter direkter Online-Kommunikation. Zumal es in den ersten 2 Stunden meist möglich ist, auf die ersten Beschwerdeführer einzugehen, und damit das Aufschaukeln negativer Meinungen zu vermeiden.
Wie geht nun ein kritik-gewohnter Sender damit um?
Volker Düspohl gibt zu, dass man natürlich in den ersten Stunden hätte reagieren müssen. Nach 2 ½ Tagen jedoch war Gelassenheit angesagt. Aus der Erfahrung früherer Umstellungen war klar dass sich die neuen Hörgewohnheiten bald eingestellt haben werden. Sachliche Klarstellungen auf Facebook und Abwarten brachte dann auch wieder Frieden in die Fangruppe. Auch die Facebook-Fanzahl sank nur um wenige Einzelne in der Zeit.
Lessons Learned daraus:
Natürlich würde man beim nächsten Mal früher reagieren, und für den Umstellungszeitpunkt auch alle Kapazität im Community-Management bereithalten.
Könnte man über die sozialen Medien heute nicht die Hörer vorher in die Planung der Veränderungen einbeziehen?
Radioeins hatte schon früher versucht, die Hörer vorher zu fragen, was verändert werden soll, oder wie sie das neue Sound-Design finden. Das ging immer schief, wohl weil es dabei um Geschmacksfragen geht, die immer individuell unterschiedlich beurteilt werden. Man kann von den eigenen Kunden vermutlich auch nur kleine Verbesserungen am bekannten Produkt erfahren, nicht aber den Hinweis auf völlig Neues. Ein Teilnehmer zítierte dazu Henry Ford: „Wenn ich meine Kunden gefragt hätte, was sie wollen, dann hätten sie sich schnellere Pferde gewünscht“. Vom Nutzen größerer Innovationen muss man als Anbieter so überzeugt sein, dass man sie auch gegen die spontane Reaktion der eigenen Kunden durchsetzen kann.
Radiostationen haben offenbar Übung darin, und können auch im Zeitalter des Web 2.0 mit Gelassenheit punkten. Volker Düspohl fühlt sich bestätigt durch die Analyse der Facebook-Kommentare: Nur einige wenige hatten alle 2 Stunden die Stimmung immer wieder angeheizt.
Danke für die aufschlussreiche Session!
Weiterer Sessionbericht vom CommunityCamp: „Gesundheit von Communities“
Danke für diese schöne Zusammenfassung!