Im aktuellen Wissenswert Blog Carnival fragt Dr. Daniel Stoller-Schai, UBS, Head E-Learning „Wie wird Workplace-Learning bei Ihnen umgesetzt?“.
Ich muß zugeben, irgendwie irritiert mich die Frage. In der erläuternden Erklärung schreibt Dr. Stoller Schai Workplace-Learning „braucht organisatorische, technologische und bauliche Anpassungen“. Das lässt auf die Vorstellung schließen, Lernen sei ein bewusst eingeleiteter, und am besten auch angeleiteter Vorgang, der zusätzlich kostbare Zeit in Anspruch nimmt, und vielleicht auch noch einen anderen Raum braucht.
Andererseits kann ich das auch gut verstehen: Wir Training-Profis könnten uns ja nichts Besseres wünschen. Für jeden Dienstleister ist es immer gut, dazu auch die Sicht der eigenen Kunden, in unserem Falle der Trainingsinvestoren und der Teilnehmer, zu erkunden. Nun ist es ja leider unmöglich, verlässlich zu messen, wie viel Kompetenz jemand über organisierte Lern-Maßnahmen gewonnen hat. Dazu gibt es zu viele Lernmöglichkeiten, die es ebenso gewesen sein könnten.
Der Versuch, die Betroffenen direkt zu befragen, wie sie das wohl einschätzen, gibt aber interessante Hinweise auf den subjektiven Stellenwert von organisierten und anderen Lernvorgängen. Vielleicht beantworten Sie sich zunächst selbst einmal die folgende Frage:
„Wieviel Prozent der für Ihren derzeitigen Job benötigten Kompetenz haben Sie im Training erworben? ……
Und wo den Rest? …… „
Mit dieser Frage sind die Mitglieder zweier Communities of Training Practice (Leiter von betrieblichen Trainingsorganisationen aus verschiedenen Unternehmen) auf ihre Kunden zugegangen. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Zwischen 2 und 20 % liegen die subjektiven Antworten, mit dem Schwerpunkt bei deutlich unter 10%. Und auf die Frage, wo sie den Rest erworben haben, war die typische Antwort „Im Job natürlich.“
Das heißt, das Mitarbeiter in Unternehmen ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass Sie ihre Kompetenzen zum allergrößten Teil selbst erworben haben, im Job, so ganz nebenbei. Nur niemand spricht dabei von Lernen. Also Workplace-Learning ist auch aus meiner Sicht das größte und etablierteste Lernfeld in Unternehmen, das alle organisierten Lernformen „in den Schatten stellt“. Und erstaunlicherweise funktioniert das ohne didaktische Aufbereitung, ohne Trainer, und fast unbemerkt.
Vielleicht sollte das uns Trainings-Profis ein wenig nachdenklich machen. Irgendwie schaffen Mitarbeiter unglaubliche Lernleistungen ganz allein, wenn nur die Herausforderungen entsprechend sind. Sie kennen die Wege, wie man an geeignetes und notwendiges Wissen heran kommt, und wie man es sich am besten aneignet. Sie sind damit schon unzählige Male erfolgreich gewesen! Und wir Didaktiker, Trainer, Personalentwickler, Führungskräfte, … könnten noch nicht einmal sagen, wir hätten ihnen das selbständige Lernen beigebracht.
Mich macht dabei nachdenklich, ob es möglicherweise falsch ist, das Lernen in den Blick zu nehmen, und gestalten zu wollen. Vielleicht ist Lernen eine so grundlegend vorhandene Fähigkeit von uns Menschen, wie das Atmen, das wir ja auch nicht zu gestalten brauchen. Vielleicht sollten wir mehr an den Rahmenbedingungen, die Entwicklung ermöglichen, arbeiten, als den Entwicklungsweg zu gestalten. Der Arbeitsplatz scheint jedenfalls überwiegend schon ganz gute Rahmenbedingungen für Entwicklung von Kompetenzen zu bieten – auch ohne „organisatorische, technologische und bauliche Anpassungen“.