OER – Wem gehört die Bildung (#sloer)

Irgendwie hatte ich mir viel von der Ankündigung versprochen: Einsatz von OER und Urheberrecht waren die beiden Stichworte, die mich anzogen, gestern zum Speedlab nach München zu fahren.

“Open Educational Resources – Was ist das? Was kann das?” und “Open Educational Resources – Urheberrechtsfragen” mit diesen beiden Vorträgen von Jan Neumann und Matthias Spielkamp startete das Speedlab gestern im Münchner Jugendzentrum “Feierwerk”. Danach sollten Leitfragen zu OER an 4 Thementischen von den etwa 60 Teilnehmern gruppenweise diskutiert werden.

Beide Vorträge waren eine exzellente Einstimmung zum Thema. Die Diskussion an den Thementischen war eher ernüchternd. Obwohl kaum Lehrer anwesend waren (war ja auch ein ganz normaler Schultag), versuchten die meisten Teilnehmer OER als Lehrmaterial hauptsächlich für die Verwendung durch Lehrer zu bewerten. Und natürlich gibt es da eine Menge Kriterien, die das OER-Material dann auch erfüllen müsse. Freigaben für “richtige Inhalte” bis “Verhindern von redundantem Lehr-Material” lautete der Forderungskatalog  etlicher Teilnehmender gestern.

OER für Lehrende oder für Lernende?

Die UNESCO-Idee Open Educational Resources  ist ganz sicher nicht entstanden, um Lehrenden in Deutschland  besseres oder anderes Unterrichtsmaterial an die Hand zu geben. OER will Lernmaterial für jedermann sein. OER zielt auf lebenslanges Lernen, und will besonders auch das informelle Lernen unterstützen. Also sind Lernende die Hauptzielgruppe. Deshalb sollte OER auch vorwiegend aus Lern-Material und weniger aus Lehr-Material bestehen. Und natürlich können Lehrende dieses Material auch in Lehrkontexten verwenden. Nur mit dem Ersatz von eigenem Lehrmaterial wird aber das Potential von OER-Lernmaterial überhaupt nicht genutzt.

OER für Lernende ermöglicht neue Formen des „Lehrens“

Gutes OER-Lernmaterial entlastet „Lehrende“ vom Aufbereiten und vom Vermitteln von Inhalten. Tatsächlich findet man schon heute so gut aufbereitetes Lernmaterial im Internet, dass es einem einzelnen Lehrer sehr schwer fallen dürfte, diesen Stoff selbst besser zu vermitteln. Darin sehe ich eine große Chance: OER schafft für Lehrende den Freiraum, sich auf die Unterstützung von Lernenden beim Erarbeiten des Stoffes zu konzentrieren. Das ist ja die eigentliche pädagogische Aufgabe. Die Inhaltsvermittlung erforderte bisher nur notgedrungen den größten Teil der Zeit.

Mit steigendem Einsatz von OER in formalen Lehr-Settings wird sich die Rolle der ehemals „Lehrenden“ wandeln. Lern-Begleiter oder Lern-Coaches sind dann bessere Begriffe für diese neue Form von Entwicklungs-Unterstützung. Das klingt noch ungewohnt. Aber eigentlich ist das doch der Traum aller Pädagogen, endlich die volle Aufmerksamkeit auf die individuelle Unterstützung der Lernenden richten zu können. Ein derzeit rasch wachsendes Modell dafür ist z.B. das „Flipped-Classroom-Prinzip“.

P.S.:

An einem Thementisch stellten Dominik Neumann und Christoph Fey das Projekt „Bildungsmedien Online“ vor. In deutscher Sprache seien 900.000 Lehr-Dokumente für die Schule kostenlos im Internet zu finden, ist ein erstes Ergebnis des Forschungsprojektes. Mehrmals betonten sie, wie bedenklich es sei, wenn Unterrichtsmaterial ungeprüft und mit dem Logo von Unternehmen in die Schule käme. Darüber kann man sicher nachdenken. Pikant dabei ist nur, dass dieses Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit dem „Verband Bildungsmedien“ läuft, was i.d.R. bedeutet „von diesem finanziert wird“. „Der Verband Bildungsmedien vertritt die Interessen jener Unternehmen, die Medien und Lernlösungen für das Bildungswesen produzieren“ so die eigene Darstellung im Internet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?

19 Gedanken zu „OER – Wem gehört die Bildung (#sloer)“

  1. Hallo Karlheinz,
    Vielen Dank für diesen nachdenklichen Artikel! Angeregt durch unsere Diskussion beim KnowledgeCamp, habe ich mich weiter in das Thema OER eingelesen und finde es sehr spannend – da hatte ich auch schon mit meiner Freundin, die als Lehrerin dem Standpunkt der „Lehrenden“ näher steht als ich, einige interessante Diskussionen … 🙂

    Vor kurzem habe ich nun einem aufgeschlossenen Kunden den Einsatz von OER für einen Workshop vorgeschlagen. Eigentlich habe ich dabei nur aus der Not eine Tugend gemacht – weil die Erstellung eigener Lehrmaterialien für das Nischenthema zu aufwendig gewesen wäre. Also hatte ich natürlich auch keinen Status Quo zu verteidigen (z.B. keine eigenen zertifizierten Inhale etc.) … Schön, dass ich für mich eine ähnliche Argumentation verwendet habe wie Du in Deinem Artikel, nämlich dass ich mich in meiner Rolle nicht als traditioneller Wissens-Vermittler sehe, sondern eher als Lern-Coach, der die Teilnehmer beim Lernen unterstützt und Ihnen als Navigator geeignete Selbstlern-Materialien empfiehlt.

    Sowohl der Chef als auch seine Mitarbeiter waren begeistert von der Idee – die Mitarbeiter wegen der Autonomie und der freien Zeiteinteilung in der Vorbereitung, der Chef wegen der gesparten Trainerstunden, weil ich mich nach der Auswahl der empfohlenen LERNmaterialien im anschließenden Workshop nur noch um die Klärung der offenen Fragen kümmere und die Teilnehmer bei der Anwendung des Gelernten unterstütze.

    Mein Fazit: Dieses Unternehmen ist wohl schon nach diesem ersten Versuch für traditionelle Seminaranbieter zu einem harten Brocken geworden – weil sie die Kursangebote nun viel kritischer hinterfragen werden. Also eine große Chance für innovative Anbieter und Neueinsteiger, und eine Gefahr für die Pfründe der etablierten Anbieter? Gut möglich – auf jeden Fall zeichnet sich hier ein klarer Kosten-Nutzen-Vorteil für OER-basierte Trainingsangebote ab.

    Ich werde jedenfalls die OER-Idee auch anderen Kunden vorschlagen. Vielleicht kann sich so – nachfragegetrieben – der Wandel weiter beschleunigen?

    PS: Da ergibt sich auch ein schöner Anwendungsfall für ein Wiki: der Trainer stellt den Lernenden eine Auswahl von OER-Lernmaterialien zu einem Thema zur Verfügung, und die Teilnehmer übernehmen dann mit dem Themen-Verantwortlichen die weitere Pflege der Materialiensammlung … 🙂

    1. Danke Rainer, für diesen mutmachenden Erfahrungsbericht! Ja, es braucht mehr solcher Beispiele der konkreten Anwendung von frei verfügbarem Lern-Material in formalen Lern-Settings. Das macht wirklich Sinn für die Lernenden, für die Auftaggeber und – richtig gemacht – auch für die „Lern-Begleiter“.
      Danke für Deine anschauliche Darstellung!

  2. Hallo Karlheinz,
    Vielen Dank für diesen nachdenklichen Artikel! Angeregt durch unsere Diskussion beim KnowledgeCamp, habe ich mich weiter in das Thema OER eingelesen und finde es sehr spannend – da hatte ich auch schon mit meiner Freundin, die als Lehrerin dem Standpunkt der „Lehrenden“ näher steht als ich, einige interessante Diskussionen … 🙂

    Vor kurzem habe ich nun einem aufgeschlossenen Kunden den Einsatz von OER für einen Workshop vorgeschlagen. Eigentlich habe ich dabei nur aus der Not eine Tugend gemacht – weil die Erstellung eigener Lehrmaterialien für das Nischenthema zu aufwendig gewesen wäre. Also hatte ich natürlich auch keinen Status Quo zu verteidigen (z.B. keine eigenen zertifizierten Inhale etc.) … Schön, dass ich für mich eine ähnliche Argumentation verwendet habe wie Du in Deinem Artikel, nämlich dass ich mich in meiner Rolle nicht als traditioneller Wissens-Vermittler sehe, sondern eher als Lern-Coach, der die Teilnehmer beim Lernen unterstützt und Ihnen als Navigator geeignete Selbstlern-Materialien empfiehlt.

    Sowohl der Chef als auch seine Mitarbeiter waren begeistert von der Idee – die Mitarbeiter wegen der Autonomie und der freien Zeiteinteilung in der Vorbereitung, der Chef wegen der gesparten Trainerstunden, weil ich mich nach der Auswahl der empfohlenen LERNmaterialien im anschließenden Workshop nur noch um die Klärung der offenen Fragen kümmere und die Teilnehmer bei der Anwendung des Gelernten unterstütze.

    Mein Fazit: Dieses Unternehmen ist wohl schon nach diesem ersten Versuch für traditionelle Seminaranbieter zu einem harten Brocken geworden – weil sie die Kursangebote nun viel kritischer hinterfragen werden. Also eine große Chance für innovative Anbieter und Neueinsteiger, und eine Gefahr für die Pfründe der etablierten Anbieter? Gut möglich – auf jeden Fall zeichnet sich hier ein klarer Kosten-Nutzen-Vorteil für OER-basierte Trainingsangebote ab.

    Ich werde jedenfalls die OER-Idee auch anderen Kunden vorschlagen. Vielleicht kann sich so – nachfragegetrieben – der Wandel weiter beschleunigen?

    PS: Da ergibt sich auch ein schöner Anwendungsfall für ein Wiki: der Trainer stellt den Lernenden eine Auswahl von OER-Lernmaterialien zu einem Thema zur Verfügung, und die Teilnehmer übernehmen dann mit dem Themen-Verantwortlichen die weitere Pflege der Materialiensammlung … 🙂

    1. Danke Rainer, für diesen mutmachenden Erfahrungsbericht! Ja, es braucht mehr solcher Beispiele der konkreten Anwendung von frei verfügbarem Lern-Material in formalen Lern-Settings. Das macht wirklich Sinn für die Lernenden, für die Auftaggeber und – richtig gemacht – auch für die „Lern-Begleiter“.
      Danke für Deine anschauliche Darstellung!

  3. Mir geht es genauso, wenn in Diskussionen zu OER immer wieder so vehement auf Qualität abgehoben wird, insbesondere natürlich vom Verband der Bildungsmedien. OER muss von hoher Qualität sein und am besten vorher geprüft, bevor diese an ahnungslose Schülerinnen und Schüler weitergeben werden können. Warum?? Ist Schule denn eigentlich nicht gerade dazu da, Medienkompetenz zu vermitteln, mit der dann jeder selbst (OER-)Materialien auf Qualität prüfen kann? Was für ein Bild vom Schüler wird denn hier vermittelt? Dass die Verlage kein gesteigertes Interesse an einem „Wildwuchs“ OER haben ist denke ich verständlich, sollte jedoch aus pädagogischer Sicht kein Hindernis sein, weiter an der Verbreitung von „wildem“ OER zu arbeiten.

    1. „Wild OER“, das scheint mir ein guter Begriff. Zumal in einer Zeit, in der Wissen so schnell wächst, dass alle Genehmigungsinstanzen viel zu lange brauchen würden, um sich eine Meinung zu bilden, was denn nun „richtig“ sei – mal ganz abgesehen davon, dass es immer eine subjektive Entscheidung der Entscheider bleiben dürfte.
      Vielleicht sollten wir den Begriff „Wild OER“ ganz bewusst etablieren.

      1. Das fände ich gut. Es gibt ja auch den Begriff „wildes Lernen“ (Benedikt Sturzenhecker), der noch mal was anderes meint als informelles oder non formelles Lernen, nämlich ohne Pädagogen, ohne Lehrbuch, on the spot, also situiert, in communities, selbst organisiert, peer2peer, learning by doing, wie z.b bei Skatern, street artists, etc.

  4. Karl-Heinz,

    die Zeit scheint reif für diese Art der Interventionen.

    Ich freue mich über deinen Beitrag und die Reflexion einer konkreten Veranstaltung zu OER.

    Es ist genau diese Problem, dass ich zunehmend auch habe: Es geht ständig um die Verfügbarkeit der OER für Lehrende. Lehrende sollen das Material remixen können. – Und die Lernenden?

    An diesem Punkt betrachte ich dann immer mich selbst als Lernenden und komme zu ganz anderen Schlüssen bzgl. Zugänglichkeit von Lernmaterial als ich es noch vor einem 3/4Jahr in Sachen OER gekommen bin.

    Der Gedankengang ist noch nicht ausgereift, aber ich habe mir vorgenommen bis zum MoocMaker-OpenCourse im Januar und eine in der gleichen Wochen stattfindenden Konferenz die gerade ansatzweise vorhandenen Gedanken zum Thema formuliert zu bekommen. – Dass jetzt, gerade jetzt (!) dein nachdenklicher Artikel erscheint, bestätigt mich in einer gewissen Unruhe in mir. Gespannt, wo diese Diskussion hinführen wird.

    Sei herzlich gegrüßt,

    Torsten

    1. Lieber Torsten, dass es um das Lernen und das Material der Lernenden gehen muss und nicht um das Lehren und Unterrichtsmaterial der Lehrer -womöglich noch geprüft (von wem und woraufhin denn übrigens? – das sagen ich und andere nun schon seit dem Schultrojanerplan, z. B auf dem OER Camp. Dass du es nun auch entdeckst, find ich prima.

      1. Danke Lisa,
        das so oft „geprüftes Material“ von Teilnehmern gefordert wurde, hat mich am meisten erschrocken. Zeigt es doch so etwas wie eine verinnerlichte Obrigkeitshörigkeit. Und auch, dass den Lehrenden offenbar nicht so recht zugetraut wird, selbst eine verantwortungsbewusste Auswahl zu treffen.
        Viele Grüße Karlheinz

        1. Ganz genau! Es ist ja das Lernen in der Buchgesellschaft. Nur abgesegnete gesellschaftliche Bedeutungen dürfen gelehrt werden. Und die sind ja sogar Länderspezifisch! Für jedes Bundesland muss ein neues Schulbuch die geprüfte Freigabe kriegen. Bayern nimmt nix aus Hamburg, senn in Bayern ist die „objektive Wahrheit“ bayerisch! Dabei könnte man doch genau daran sehen, wie relativ sie ist 😉 Aber die Lehrer glauben daran. Denn täten sie es nicht, dann würde ihnen der ganze Sinnzusammenhang einstürzen und es käme heraus, dass nicht alle das gleiche lernen, selbst wenn sie das gleiche unterrichtet bekommen, und dass man eh alle Kanons und Stoffcurricula wegwerfen muss und die Leute endlich nach ihrer eigenen Mütze lernen lassen muss. Dazu gibts heut wieder was bim Wilden Dueck : http://omnisophie.com/day_180.html

          1. Das hatte ich noch gar nicht so krass gesehen: Die objektive Wahrheit, die gelehrt werden darf, ist in jedem Bundesland eine andere! Das klingt irgendwie nach Satire, ist aber ja leider wirklich so.
            Und Dueck hat gaz recht: Besser viele entwickelte und unterschiedliche Kompetenzen, als wenige meist nicht gut entwickelte.

    2. Danke Torsten,
      es freut mich, dass Du das ähnlich siehst. OER sollte aus meiner Sicht nicht das alte Bild vom Lehren optimieren, sondern ein neues Verständnis von Lernen unterstützen. Oder anders ausgedrückt: Wir sollten nicht die Lehrenden optinmieren, sondern die Lernenden.
      Viele Grüße
      Karlheinz

  5. Die Thematik „OER für Lernende“ fehlte bisher in der dt. OER-Diskussion vollkommen, obwohl doch eigentlich gerade die Begriffe ‚informelles Lernen‘ und ‚learning outcomes‘ so schön den EU-Trend widerspiegeln. ‚User generated content‘ (wie z.B. in der Spielart des Projekts http://www.kfz4me.de) wäre plötzlich wieder verstärkt ein Thema.
    Lernende gehen auch eher relativ unverkrampft an das Thema OER & Remix heran. Lehrende wollen – zumindest derzeit noch – lieber etwas ‚Eigenes‘ gestalten …
    Ich bin mir aber sicher, dass sich mit Geduld die nächsten Jahre eine fruchtbare OER-Kultur entwickeln wird.
    Spannende Zeiten jedenfalls!
    Andreas

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