Arbeit 4.0 und Selbstbedienung beim Lernen

Arbeit 4.0 ist noch nicht so recht konkret vorstellbar, aber eine größere Eigenverantwortung der Mitarbeiter zeichnet sich bereits ab. Auch die Entwicklung von Mitarbeitern sollen diese mehr selbst in die Hand nehmen. Von mehr selbstgesteuertem Lernen gehen die Personalentwickler heute aus. Wenn wir über selbstgesteuertes Lernen sprechen, ist da niemand mehr, der Lernende anleitet und mit Lernmaterial bedient. Selber auswählen und beschaffen ist nötig. Beim Einkaufen von Waren kommt uns das heute ganz selbstverständlich vor. Der „Selbstbedienungsladen“ ist ja auch schon 100 Jahre alt. Beim Beschaffen von Lern-Content fühlt sich das aber für Etliche noch sehr ungewohnt an. Inzwischen gibt es aber viele Beispiele, an denen man lernen kann, was es braucht, um Selbstbedienung zu unterstützen.

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Selbstgesteuertes Lernen vs. fremdgesteuertes Lernen

Beim angeleiteten (fremdgesteuerten) Lernen gehen Lehrende in der Vorbereitung von einer typischen Person aus der Zielgruppe aus. Deren Vorkenntnisse und deren Ziel werden definiert, um dann den vermeintlich besten Lernweg zu bestimmen. Diese Person ist aber noch nie in einem Seminar gesichtet worden! Es sind immer andere Personen dort, mit ganz unterschiedlichen Kenntnissen und Vorerfahrungen – und auch mit verschiedenen Zielen. Der angeleitete Lernpfad ist also nie optimal.

Die Alternative: Das Lernen in die eigenen Hände nehmen. Wer sein Ziel und seine eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten kennt, findet auch Wege, um anstehende Herausforderungen zu bewältigen. Ob das schwierig oder leicht ist, hängt davon ab, wie leicht der Zugang zu Informationen und Wissen ist. Und wenn sich das Umfeld immer schneller ändert, wird uns auch immer häufiger gar nichts anderes übrigbleiben, als uns selbst einzuarbeiten – ein Seminarangebot wird es dafür immer öfter noch gar nicht geben.

Selbstbedienung heute

Wir sind ja Selbstbedienung schon in so vielen Bereichen gewohnt – und genießen es dort auch. Hier nur ein paar wenige Beispiele:

  • Bahnfahrkarte: Wer würde sich noch die Verbindung lieber am Schalter raussuchen lassen und nicht selber online suchen?
  • Tanken: Wer würde gern auf den Tankwart warten, der erst noch zwei andere Autos betanken muss, statt selber zu tanken?
  • Lebensmitteleinkauf: Wer würde lieber genau angeben, welches Gemüse er in welcher Menge haben möchte, statt sich das im Vorbeigehen selber einzutüten?
  • Geld holen: Wer würde lieber einen Auszahlungsschein ausfüllen und das Geld beim Kassierer der Bank abholen, statt sich am Geldautomaten zu bedienen?
  • Auto waschen: Wer würde sein Auto lieber zum Waschen abgeben, und später wieder abholen, statt selber durch die Waschanlage zu fahren?

Ganz im Gegenteil sind wir sogar sauer, wenn es gar keine Selbstbedienungsmöglichkeiten gibt, und wir zu knappen Bürozeiten z.B. persönlich in die Behörde gehen müssen. Selbstbedienung wurde mal aus Kostengründen eingeführt. Inzwischen haben wir Kunden aber auch die Vorteile erlebt, und möchten sie nicht mehr missen. Das zeigt z.B. auch der Online-Anteil am Einzelhandelsumsatz, wo man ja auch immer ins nächste Fachgeschäft gehen könnte: 2017 wurde bereits jeder achte Euro in Deutschlands Einzelhandel online umgesetzt.

Selbstbedienung beim Lernen benötigt hilfreiche Infrastruktur

Aufs Lernen bezogen: Wer würde lieber auf den Kurs in 3 Monaten warten, wenn er sich die aktuell nötigen Inhalte auch auf Youtube-Videos, im Internet, in Communities oder bei Experten selbst abholen kann?

Selbstbedienung statt Bedienung, klingt irgendwie nach schlechterem Service. Ist es aber nicht – wenn die Infrastruktur dafür stimmt. Der Online-Zugang muss einfach sein, die Zapfsäulen müssen für Selbstbedienung ausgelegt sein, der Laden muss fürs Selbstbedienen mit allen nötigen Informationen ausgestattet sein, die Bank muss Geldautomaten in meiner Nähe betreiben.

Das alles gilt auch für die Selbstbedienung beim Lernen. L&D muss sich um die Infrastruktur kümmern. Dass es im Internet fast allen Lern-Content gibt, ist kein Argument für eine vorhandene unterstützende Infrastruktur. Zu so einer erleichternden Infrastruktur gehören z.B.:

  • Zusammenstellungen relevanter Inhalte, mit kurzen Inhalts-Beschreibungen, evt. mit Bewertungen
  • Empfehlungen sinnvoll nacheinander zu nutzender Module
  • Beobachtungen was anderen geholfen hat zum Ziel zu kommen
  • Empfehlungen relevanter Communities
  • Unterstützung bei der Community-Bildung
  • Unterstützung beim Einstieg ins Netzwerken
  • Unterstützung fürs Aufbereiten und Bereitstellen des eigenen Wissens
  • Plattformen für Kommunikation und Dokumentation (soziale Intranets, Wikis, Yammer, …)

Wie in einem Baumarkt auch: Es reicht nicht alles hinzustellen. Bei fast allen Produkten sind Erklärungen nötig, mal auf der Verpackung und mal als erklärendes Kurz-Video am Regal. Und wenn man ihn braucht, ist auch ein Mitarbeiter persönlich greifbar.

Das soziale Intranet gehört zur Lern-Infrastruktur

Das Grundgerüst für eine ermöglichende und eine inspirierende Lern-Infrastruktur ist in jedem Falle eher ein soziales Intranet als ein LMS. Learning Professionals sollten also um das soziale Intranet kämpfen und nicht für das neue Learning Management System. Lernen kann man sowieso nicht managen, das passiert ganz nebenbei und fast unbemerkt. Wir können aber Lernen anregen und erleichtern. Das sind völlig andere Aufgaben für uns Learning Professionals, als das Aufbereiten und Verteilen von Wissen an Zielgruppen. Unser neuer Job ist es, die notwendige Selbstlern-Infrastruktur herzustellen und zu pflegen.

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Selbstbedienung erfordert Werbung

Wenn der Kunde wählen kann, braucht man als Anbieter seine Aufmerksamkeit. Wenn wir die „Lern-Regale“ füllen, dann müssen wir die Inhalte auch attraktiv „verkaufen“, sonst bedienen sich die Lernenden woanders. Das kehrt die Rollen um: Entscheider sind jetzt die Lernenden, wir Learning Professionals werden die von unseren Kunden abhängigen Dienstleister. Das wird nicht jedem gefallen, dürfte aber die Qualität der Angebote erhöhen.

Gleichnamige Session beim BarCamp „Arbeit 4.0“ des VDMA am 12.6.2018

Bei Interesse würde ich eine Session dazu auf dem kostenlosen BarCamp des VDMA in Frankfurt Main anbieten. Ich würde gern über die neue Rolle von Learning & Development diskutieren. Wer mitdiskutieren will kann sich hier fürs BarCamp anmelden.

12 Gedanken zu „Arbeit 4.0 und Selbstbedienung beim Lernen“

  1. Empfehlung Buch-Neuerscheinung: „Ausgesetzt zur Existenz“; Franz Sternbald

    Virtú oder virtuell? .. Während dem Meister seines Handwerks kaum das Zertifikat seiner Qualifikation gegönnt wird, würden ihm im digital vollautomatisierten Industriebetrieb allenfalls öde Maschinenüberwachungsfunktionen zufallen. Die Entfremdung des Menschen von seinem Werk erfolgt in exponentieller Geschwindigkeit, die jede gesellschaftspolitische Reaktion überfordern und zuletzt unmöglich machen wird. Abqualifiziert und sinnentleert kann „Arbeit 4.0“ unmöglich als ein würdiger Teil des menschlichen Daseins angenommen werden (darüber können auch nicht Weiterbildungsmaßnahmen in Programmiersprachen hinweg trösten). Die Forderung des Lebenslangen Lernens wird aus dem Munde der Digital-Lobby zum blanken Zynismus der entmenschsten Produktivität. Sofern Produktion nicht mehr durch Menschen für Menschen Wertschätzung erfahren kann, bedeutet digitalisierte Produktivität zuletzt eine zirkelhafte Selbstbezüglichkeit der Mittel, die sich die Zweckhaftigkeit angeeignet haben. Im Strudel der technoiden Beschleunigungsspirale verschwindet jeder kulturelle Form- und Gestaltwille in einem Strudelabfluß des veritablen Nichts. Wir fallen letztlich der Ideologie eines digitalen Nihilismus anheim. In seiner Betrachtung der Relevanz des hegelschen Materialismus, konstatiert der slovenische Philosoph Slavoj Zizek die Virtualität künftiger Realitäten (virtuell erweiterte Realität =augmented virtual reality) als eine Steigerung der Potentialität. Das Potentielle sind die noch nicht verwirklichten Möglichkeiten aus einem bereits gegebenen Regelrahmen zur Verwirklichung (z.B. der Fall einer bestimmten Augenzahl beim Würfeln). Hingegen ist die Virtualität die potenzierte Möglichkeitsform aus dem Raum unvorgegebener, und daher unkalkulierbarer Möglichkeiten. Diese sind dann völlige Neuschöpfungen quasi aus dem Nichts (ex nihilo). Bei der Verwirklichung eines virtuellen Ereignisses im Rahmen einer digitally augmented reality, ergeben sich sozusagen künftig tatsächlich ‚unmögliche Möglichkeiten’. Es handelt sich hierbei quasi um eine Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo), also einer Schöpfung ohne Schöpfer, ein Sein ohne Grund.
    Die Auslöschung des Reellen durch das Virtuelle hinterläßt eine Leere des rein Potentiellen eines unendlichen Möglichkeitsraumes, der das Existenzielle durch die unendliche Null vollkommen ersetzt.

    *

    „ Ausgesetzt zur Existenz “ – warum der Mensch ein Schicksal ist
    – vom Ausgang aus der unverschuldeten Absurdität –
    Franz Sternbald

  2. Bei der Auflistung der „selbstverständlichen Selbstbedienungen“ hatte ich spontan folgenden Gedanken: Kitiker eines im weitesten Sinne offenen Lernangebotes oder Lernens führen ja oft in’s Feld, dass das Lernen und die Inhalte dann außer Kontrolle sind. Aber: wer zweifelt (ernsthaft) daran, dass der korrekte Geldbetrag aus dem Automaten kommt oder die Fahrkarte wirklich gültig ist?
    Dieses Urvertrauen ist für einen zentralen Lernanbieter ein zentraler Meilenstein.

  3. Das halte ich für einen ganz wichtigen Beitrag, vielen Dank Karlheinz. Die digitale Transformation hält auch Disruptionen für L&D bereit und wir müssen uns dringend mit unserern Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten beschäftigen. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass sich der Verantwortungsbereich von L&D inskünftig auch viel mehr auf informelles Lernen erstrecken wird, es also bei weitem nicht darum gehen wird, formale Lerneinheiten zur Selbstbedienung bereitzustellen und der Auswahl zu begleiten. L&D wird sich zum Mentor beim Aufbau von Selbstlernkompetenzen im direkten Arbeitskontext (Workplace Learning, Performance Support) entwickeln müssen, oder zum Community Companion, um soziele Lernprozesse zu moderieren. Oder zum Lehrbegleiter, um bei den Menschen in Organisationen das Bewusstsein zu entwickeln und zu fördern, ihr Wissen und ihre Erfahrungen für andere bereitzustellen.
    Dazu braucht es *auch* für L&D ein neues Mindset und Skillset, von dem wir heute selbst gedanklich noch sehr weit entfernt sind.
    Grossartig, gibt es dazu ein solches Barcamp. Denn ich kenne kaum besser Mindset Booster, als dieses interaktive und kraftvolle Format.

  4. Aus meiner Sicht ist es immer notwendig, das geschäftliche Ziel für alle Mitarbeiter klar und nachvollziehbar zu machen. Da muss das „Richtung vorgeben“ stattfinden. Dann werden Mitarbeiter vermutlich am besten wissen, was sie noch tun müssen, um persönlich dazu beizutragen. Sie wissen dann sicher besser als jeder andere, was ihnen noch fehlt, und wo sie noch fit werden müssen.

  5. Eine schöne Metapher, danke Karlheinz! Vielleicht lohnt es sich, der Spur der Konsum-Selbstbedienung noch weiter zu folgen. Wann reicht uns in der Einkaufswelt das Selbstbedienungsangebot nicht aus und wir suchen Rat? Das sind in der Regel mehr oder weniger spezielle *fachliche* Fragen, oder? („Wie funktioniert eine Auslandsüberweisung?“ „Was bedeutet ‚T-95-Kraftstoff‘?“ „Kann ich eine Jugendbahncard auch im Ausland nutzen, wenn das Kind zwei Stationen alleine weiterfährt?“ „Hat dieses Gemüse bessere Haltbarkeit im Kühlschrank oder im Hellen?“)
    Mein Verdacht für das Lernen: Bei den Fachfragen können die Lern-Berater*innen nur begrenzt helfen. Es braucht Fachleute (also vermutlich Communities), zu denen die Lern-Berater*innen den Weg weisen müssen.

    1. Ja, das Konzept Lern-Berater kommt hier an seine Grenzen – wie übrigens die Beratung in Fachgeschäften auch. Das sind oft nur „angelesene“ Experten. Die entscheidenden Fragen können die auch nicht beantworten, oder man ist unsicher, ob es stimmt was die sagen. Das Beschaffen von relevanten Informationen erfordert immer mehr den Kontakt zum richtigen Experten – oder zu dessen im Internet konservierten Botschaften. Wer das dann allein findet, hat sich wieder selbst bedient. Übrigens finde ich den Vergleich mit unsicheren Kunden sehr passend: Auch die wollen lernen, welches Produkt für sie das Richtige ist, was sie wirklich mit dem Produkt tun können, und wo es Grenzen / Risiken gibt.

      1. Hallo,

        ich bin ja eher mit der Digitalisierung vertraut, als vom Fach im Learning-Angebot. Meines Erachtens wird der Zugang zu Experten – im Sinne eines Wissensmanagements – am besten über Matching-Angebote von Fragen gewährleistet. Das ist wie ein Expertensystem nur mit persönlicher Note, wenn man z. B. den nächstgelegenen Experten matched.

        Weiterhin glaube ich, dass dezentrale Nachrichten relevanten Content automatisch hoch raten und bekannt machen würden.

        Ich habe das mal in einem Artikel erläutert: https://marius-a-schulz.de/2018/12/13/wissensmanagement/ .

        Mit freundlichen Grüßen,
        Marius A. Schulz.

    2. Ergänzend zu den fachlichen Fragen werden auch häufig andere Fragen gestellt, wie:
      „Wo finde ich XX-Zubehör?“ oder „Was halten Sie von dieser Marke / diesem Hersteller?“ oder „Wie viele Reklamationen gab es bei Artikel YY“?. Bei solchen Fragen sollte die L&D-Abteilung / ein Lernberater weiterhelfen können.

  6. Die Selbstbedienung ist ja wirklich schön, aber es gibt da noch einen Haken. Im „alten“ System der vorgefertigten Lernangebote entscheidet in der Regel der Arbeitgeber, was gelernt werden soll. Hier wird also meistens die Richtung vorgegeben, der Arbeitgeber hat Kosten und Nutzen abgewogen.
    Bei der Selbstbedienung gehen wir entweder davon aus, dass der Mitarbeiter genau weiß, was gebraucht wird, oder wir akzeptieren, dass Lernen per se gut und sinnvoll ist. Beides wird nie in Idealform vorliegen. Also brauchen wir eine neue Form der Abstimmung, in welche Richtung denn zum gegenseitigen Nutzen gelernt werden sollte. Der Mitarbeiter braucht ein breites Verständnis für die Geschäftsziele, sonst sind seine autonomen Entscheidungen jedenfalls nicht optimal. Aber wir brauchen daneben auch einen ständigen Dialog darüber, welche Investitionen an Zeit und Geld sinnvoll und produktiv sind. Denn es geht ja immer noch um ein gemeinsames geschäftliches Ziel. Nur Selbstbedienung scheint mir nicht zu reichen. Es braucht eine Verständigung darüber, welche Inhalte gebraucht werden. Dann ist Selbstbedienung der sinnvollste Weg, und es kann auch ruhig mit einem großem Spielraum ausgewählt werden.

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