Mein Abschluss-Statement nach dem CL 2025 MOOC

Zum Abschluss des MOOC-Teils wurden alle Teilnehmenden aufgefordert, ihre Einschätzung zum Corporate Learning in 2025 abzugeben, zu diesen 5 Fragen. Hier meine Antworten:

Frage 1: Was ist der aktuelle Zustand von Corporate Learning in Organisationen heute?

Das Lernen in Organisationen wird aus meiner Sicht derzeit nur zu einem ganz kleinen Teil auch als Lernen wahrgenommen. Fast nur dann, wenn jemand Lernziele definiert hat, Lernaufgaben stellt und die Gelegenheit zum Überpüfen von Lernergebnissen gibt, wird von Lernen gesprochen. Also immer dann, wenn Lernen fremdgesteuert und i.d.R. unabhängig oder abseits von der aktuellen Arbeitsaufgabe organisiert ist. Diese Lernprozess-gestaltende Rolle weist man den Learning & Development Profis in Weiterbildungs- oder Personalentwicklungsabteilungen zu. Sie haben den Auftrag von der Geschäftsleitung, das für die Organisation relevante Wissen für die verschiedenen Zielgruppen im Unternehmen (und auch außerhalb beim Kundentraining) aufzubereiten, und in geeigneten Formen diesen Zielgruppen zu vermitteln.

Dass dies nach der 70:20:10 Regel höchstens 10% des betrieblichen Lernens ausmacht, wird erst jetzt langsam klar. Trotzdem wird noch immer fast 100% des Weiterbildungs-Budgets für diese 10% verwendet.

Frage 2: Welche Schlüssel-Ereignisse der Vergangenheit haben zu diesem Zustand geführt?

Industrielle Produktion strebt wiederholbare Prozesse an, die stetig optimiert werden können. Was in der Massenproduktion gut funktioniert, müsste auch auf die massenhafte Wissens-Verteilung übertragbar sein, ist der Grundgedanke. Tatsächlich werden Weiterbildungsabteilungen in industriellen Organisationen als Dienstleistungs-Produzenten für möglichst große Zielgruppen geführt, die unter ständigem wirtschaftlichem Verbesserungsdruck stehen. Vergleichs-Kennzahlen wie in der Produktion wurden eingeführt, wie z.B. Teilnehmer pro Trainertag, oder verkaufte bzw. produzierte Teilnehmerstunden pro Jahr. Das führte zu massiver wirtschaftlicher Optimierung. So werden z.B. Zielgruppen möglichst groß definiert (und damit die Einzelbedarfe immer weniger getroffen). Ein anderes Beispiel für wirtschaftliche Optimierung ist die Kursdauer. Präsenzkurse dauern i.d.R. ein Vielfaches von ganzen Tagen. Einen 1,2 Tage-Kurs wird es nicht geben, weil man Kursraum und Trainer für den Rest des angebrochenen Tages meist nicht mehr sinnvoll nutzen kann – auch wenn das Thema mit 1,2 Tagen optimal erledigt wäre.

Diese Fokussierung auf die wirtschaftliche Produktion von aufbereitetem Wissen und der Vermittlung an Viele, lässt zum Einen die Bedürfnisse der Lernenden ziemlich aus dem Blickfeld verschwinden. Bei der Konzeption von neuen Lerneinheiten kommt es praktisch nie vor, dass Vertreter der Zielgruppe einbezogen oder überhaupt befragt werden. Zum Anderen wird den selbst aufbereiteten Inhalten so viel Wert beigemessen, dass die Kurs-Unterlagen mit Copyright-Schranken versehen werden – und deshalb oft nur als Papier-Version mit Wasserzeichen an die Teilnehmer gegeben werden. Damit werden gleiche Inhalte unzählige Male immer wieder neu aufbereitet, aber nie für andere nutzbar. Dabei wäre es viel wirtschaftlicher, gutes vorhandenes Kurs-Material von anderen zu verwenden.

Frage 3: Was ist unsere Vision? Wie wünschen wir uns das Corporate Learning im Jahr 2025 (möglichst konkret und bildhaft werden)?

Corporate Learning adressiert in 2025 die Gesamtheit von Lernen in einer Organisation, also auch die über 90% informellen Lernens nach dem 70:20:10 Modell. Lernen wird wieder als individueller Prozess der Lernenden gesehen, der gar nicht von außen gestaltet werden kann. Die Erkenntnis hat sich durchgesetzt, dass Lernen immer dann stattfindet, wenn Einzelne eine neue Herausforderung annehmen und bewältigen. Neue Herausforderungen gibt es im Job immer öfter, es ist gar nicht nötig, sie künstlich außerhalb der Arbeitsumgebung zu stellen (Wenige Ausnahmen: Herausforderungen mit Gefahr für Leib und Leben oder großem Schaden). Führungskräfte beobachten ihre Mitarbeiter und sorgen stetig für entwicklungsgeeignete Herausforderungen.

Mitarbeiter sind 2025 innerhalb und außerhalb der eigenen Organisation in Fach-Communities gut vernetzt. Dort holen sie sich Rat von Fachexperten für die Bewältigung ihrer Herausforderungen. Gleichzeitig geben Sie anderen Tipps aus ihrer eigenen Erfahrung. Das öffentliche Formulieren eigener Erfahrungen unterstützt die eigene Entwicklung – und die der ganzen Organisation. Deshalb gehört das Einbringen in Netzwerken ganz selbstverständlich zur Arbeitsaufgabe.

Im Idealfall wird es 2025 gar keine „Corporate Learning Abteilungen“ mehr geben. Das relevante Wissen stellen die Experten in den Netzwerken selber zur Verfügung. (Wobei jeder Experte für seinen Arbeitsbereich ist.) Jeder in der Organisation darf dieses Wissen nutzen, und in Communities beitragen und Fragen stellen.

Selbstorganisation ist das treibende Prinzip für die eigene Entwicklung – und der Entwicklung der ganzen Organisation. Wenn ein Experte meint, es sei sinnvoll, ein Seminar anzubieten, kann er das jederzeit bekanntgeben und selbst gestalten. Das gilt natürlich auch für andere Lernformate, wie Vorträge, Videos, MOOCs, Wiki-Beiträge, …
Durch Aufzeichnung und spätere Mehrfach-Nutzung hat man den Vorteil des Originaltons des Experten (im Gegensatz zu den immer aus zweiter oder dritter Hand von Trainern oder E-Learning-Agenturen vermittelten Inhalte heute.) Mitarbeiter suchen sich die Informationen, die ihnen zur erfolgreichen Aufabenbewältigung noch fehlen, selber.

Führungskräfte werden damit nicht überflüssig. Sie stehen für die klare Zieldefinition für ihre Organisation, fürs Transparent-Machen der wesentlichen Zahlen und Fakten, und für das wohlwollende Setzen von entwicklungsfördernden Herausforderungen ihrer Mitarbeiter.

Den viel beschworenen Lern-Begleiter sehe ich 2025 auch nicht mehr. Lernende sind autonom handelnde Individuen, die sich selber gut steuern können, was die 90% informellen Lernens heute schon beweisen. Lernende können sich aber Dienstleistungen wünschen, die wählen und auch abwählen können. Coaching ist ein Beispiel, gemeinsames Arbeiten mit einem Experten ein anderes.

Damit die Rahmenbedingungen für so ein selbstorganisiertes Lernen in einer Organisation günstig sind, braucht es neben der „Lernerlaubnis-Kultur“ eine unterstützende Infrastruktur. Das sind einerseits die sozialen Intranets und Wikis, und andererseits professionelle Unterstützungen bei der Erstellung von Lern-Events oder der Gestaltung von Lern-Modulen. Das könnte eine neue Abteilung „Learning Services“ anbieten. Die produziert aber keine Inhalte mehr, sie unterstützt lediglich die Experten beim Umsetzen ihrer Wissens-Vermittlungs-Vorhaben.

Frage 4: Was ist unsere Anti-Vision? Wie soll das Corporate Learning im Jahr 2025 auf keinen Fall sein?

Meine Anti-Vision für 2025:

  • Lernen ist in 2025 immer noch „erlaubnispflichtig“ ist, also ein Vorgesetzter muss zustimmen, wenn jemand lernen will.
  • Mitarbeiter werden zu Lern-Maßnahmen „entsandt“
  • Lernen und Arbeiten sind immer noch getrennte Vorhaben
  • Die Weiterbildungsabteilung gibt vor, was gelernt werden kann und darf
  • Weiterbildungsabteilungen haben zur eigenen Rechtfertigung ein Zertifikats-System aufgebaut. Nur wer ihre Zertifikate hat, darf bestimmte Jobs erledigen. Informelles Lernen zählt nicht.
  • Weiterbildung wird noch immer in Teilnehmerstunden gemessen
  • Lernen darf offiziell nur in der Arbeitszeit stattfinden
  • Der Zugang zu Wissen ist in der Organisation nur „Berechtigten“ erlaubt
  • Wissen wird nur zentral bereitgestellt, weil sich sonst ja Falsches verbreiten könnte
  • Mitarbeiter-Netzwerke werden nicht gern gesehen und auch nicht unterstützt

Frage 5: Welche konkreten Schritte bringen uns in den Jahren 2017-2025 zu unserer Vision? Wie vermeiden wir dabei die Anti-Vision?

Zwei Punkte scheinen mir wesentlich für einen Wandel hin zu einem neuen ganzheitlichen Verständnis von Lernen in Organisationen:

  • Die Unterstützung der Vernetzung von Mitarbeitern führt automatisch zu mehr Kommunikation auf neuen Wegen. Wer kommuniziert, kann Lernen kaum vermeiden. Soziale Netzwerke in Unternehmen führen auch im Erleben der Mitarbeiter zu mehr Lernen.
  • Mit dem immer wieder Erwähnen der 70:20:10 Formel wird im Bewusstsein aller in der Organisation, die viel größere Dimension des informellen Lernens verankert. Verbunden mit dem Hinweis, dass dieses Lernen immer selbstorganisiert abläuft, entsteht Mut, den formalen Lernpfaden weniger Bedeutung zu geben, zu Gunsten des informellen Lernens.

Wir Corporate Learning Professionals machen uns stark für soziale Intranets, Wikis und soziale Medien in der Organisation. Wo die noch nicht eingeführt sind, sollten wir das nicht der IT überlassen. Das hat so viel mit Lernen zu tun, dass wir die Treiber dafür sein müssen.

Wir Corporate Learning Professionals leben selbstorganisiertes Lernen vor: Wir gehören zu den Power-Usern in sozialen Netzwerken – und lernen dabei ganz viel. Working Out Loud ist für uns persönlich selbstverständlich. Wir begeistern auch andere, sich in Netzwerken einzubringen oder zumindest mitzulesen.

Wir Corporate Learning Professionals schaffen den Rahmen, damit selbstorganisiertes Lernen stattfinden kann, z.B. durch BarCamps, durch Anregung und Unterstützung von Communities of Practice, durch Anregung zur Produktion von Podcasts, Videos, Vorträgen von den Experten selbst, … (Beispiele gibt es viele, auch im Corporate Learning 2025 MOOCathon.). Wer von uns eine Unterstützung bei Gestaltung und Umsetzung bekommen möchte, kann die abrufen.

Wir Corporate Learning Professionals lenken die Aufmerksamkeit auf die vielen informellen Lernvorgänge in der Organisation, um die Mächtigkeit von selbstorganisiertem Lernen bewusst zu machen – auch wenn es unser klassisches Geschäft untergräbt. In unseren noch formalen Weiterbildungen integrieren wir immer größere Teile selbstorganisierten Lernens. Wir fordern Lernende auf, selbst Content zu produzieren, die sie anderen zur Verfügung stellen.

 

 

Ein Gedanke zu „Mein Abschluss-Statement nach dem CL 2025 MOOC“

  1. Für die notwendigen Zertifikatssysteme braucht es keine Initiative von L&D Abteilungen. Dafür sorgen heute schon Anforderungen staatlicher Organisationen und Zulassungsbehörden. Bis dort ein modernes Verständnis von Lernen ankommt ist, sind wir weit über 2025 hinaus, wenn überhaupt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert