Organisations-Entwicklung von unten – bei Volkshochschulen!

Über 900 Volkshochschulen gibt es in Deutschland. Die steuern 200.000 freiberufliche Kursleiter die wiederum 9 Millionen Teilnehmer jährlich bedienen. Damit sind VHS unbestreitbar die größte Weiterbildungsorganisation in Deutschland. Oder doch nicht? Es ist eben nicht die eine Organisation, sondern 900 selbständige Einheiten, die alle nur den gleichen Namen tragen. Eingebunden in Gemeinden, mal als Teil der Verwaltung, mal als kommunale GmbH arbeiten die im öffentlichen Dienst beschäftigten VHS-Mitarbeiter im Auftrag ihrer Kommune und naturgemäß innerhalb der kommunalen Grenzen.

Lebenslanges Lernen zu unterstützen, ist der mehr oder weniger offen ausgesprochene Auftrag, insbesondere mit Angeboten für die bildungsferneren gesellschaftlichen Gruppen. Gute Lern-Gelegenheiten gibt es aber immer mehr ohne dass man Klassenräume besuchen muss. Das Internet lädt heute auch zum Lernen ein, und das oft sogar kostenlos. Dr. Christian Fiebig, Geschäftsführer der VHS Böblingen-Sindelfingen beschreibt das so: Im Internet liegen alle Bildungsanbieter und alle VHS nebeneinander in der gleichen Straße – nur einen Mausklick entfernt.


Damit werden regionale, kommunale Grenzen für Bildungsangebote aufgelöst. Eine Anmeldung eines zahlenden Hamburger Teilnehmers für einen Online-Kurs einer süddeutschen VHS wird dort ganz sicher nicht abgewiesen. Ganz im Gegenteil, das Internet schafft jetzt gerade für ländliche VHS ganz andere und wirtschaftlich interessante Möglichkeiten an viel mehr Teilnehmer zu kommen – wenn das Angebot gut ist. Das heizt den Wettbewerb an. Lernangebote im Internet werden transparenter, werden damit vergleichbarer. Qualitäts-Angebote sprechen sich rum, und steigern damit die Qualität der noch folgenden Angebote. Schließlich will kein Kursleiter und kein verantwortlicher VHS-Mitarbeiter im Internet mit seinem Lernangebot zu den nicht so gut Bewerteten gehören. Und auch weiterhin stattfindende Präsenzkurse werden sich an gut aufbereiteten Online-Kursen messen lassen müssen. Für lernwillige Teilnehmer entsteht hier eine Angebotsausweitung, die ihm immer mehr Wahlmöglichkeiten bietet, das jeweils persönlich am meisten Ansprechende zu wählen. Auch das verschärft den Wettbewerb der Anbieter.

Bis auf die wenigen großstädtischen VHS sind die meisten eher kleine Bildungsanbieter mit wenig Ressourcen. Viele Lernangebote entstehen durch Kursleiter, die Themen vorschlagen und als eigenen Kurs ausarbeiten. Die Qualitätsbewertung übernehmen die Teilnehmer mit Durchhaltequote und Urteil am Ende – und mit der Zahl der Anmeldungen bei Folgekursen. (Das ist auch bei anderen Bildungsanbietern so.) Die Gesamtzahl der Kursstunden ist deshalb auch der erwartete in Zahlen gegossene Gegenwert für die öffentlichen Förderungen der VHS. Sieht man das ganze Bild, dann fällt schnell auf, dass die VHS viele gleiche / ähnliche Angebote im Programm haben. Wieviel Kursleiter erarbeiten in Deutschland eigentlich gleiche / ähnliche Themen? Diese Kurs-Ausarbeitungen bleiben üblicherweise auch immer im Besitz der Kursleiter, so dass ein Nachfolger oder eine Kursleiterin in der Nachbar-VHS wieder von vorn beginnen muss. Summiert man diese wertvollen Experten-Ressourcen, die immer wieder zur Erstellung gleicher / ähnlicher Kurse aufgewendet werden, würde man ungeheuer große Kapazitäten entdecken, die man für neue Lehr- und Lernangebote ganz anderer Art nutzen könnte. Mit dem Einkauf der Rechte könnten die dann allen VHS zur Verfügung stehen. Da schlummern Potentiale, die gebündelt und ausgerichtet die VHS zu mutig voranschreitenden Akteuren in unserem allseits kritisierten Bildungssystem machen könnten. Und zum allergrößten Player am deutschen Weiterbildungsmarkt – mit allen Vorteilen solcher Marktmacht.

Können die mehr als 900 VHS zu einem großen Bildungs-Anbieter werden? Dass das jemals politisch entschieden wird, scheint sehr unwahrscheinlich, auch wenn es wirtschaftlich und inhaltlich klug wäre. Wir erleben heute den Trend zu vernetzten Organisationen, in denen Hierarchie eine neue, andere Rolle bekommt. Wenn man sich die vielen regionalen VHS einmal als Netzwerk-Knoten einer aufs gleiche Ziel hinarbeitenden Netzwerk-Organisation vorstellt, dann scheint dieses Ziel gar nicht unerreichbar. VHS-Mitarbeiter sind Behörden-Mitarbeiter. Und Behörden sind noch nie durch gutes Netzwerken aufgefallen, werden Sie sagen. Andererseits haben gerade VHS-Mitarbeiter schon vor Jahren aus eigenem Antrieb mit der Vernetzung der Marketing-Mitarbeiter vieler VHS begonnen. So wie bisher kann es nicht weitergehen, wenn VHS in Zukunft noch wichtig sein wollen, war der Gedanke bei den Marketing-Spezialisten. Wir brauchen insbesondere neue Weblernangebote und wir müssen generell darüber nachdenken, ob denn unser wöchentlicher Kurs-Rhythmus, getaktet und unterbrochen durch die vielen Schulferienzeiten, in Räumen mit der sichtbaren Aufforderung am Ende die Stühle auf die Tische zu stellen, für berufstätige Erwachsene wirklich das Optimum ist.


Das ist leicht gesagt. Taten folgten aber schnell. Ohne irgendeinen offiziellen Auftrag starteten am 16. September 2013 ein paar aktive VHS-Mitarbeiter aus verschiedenen Städten ein ganz besonderes und öffentliches Projekt für alle VHS-Mitarbeiter, Kursleiter und weitere Interessierte, den vhsMOOC mit dem interessanten Titel „Wecke den Riesen auf“. Massive Open Online Courses mit tausenden Teilnehmern sind einer der Anläße für VHS sich zu erneuern. Dieser MOOC hatte gleich zwei Ziele: Möglichst vielen VHS-Akteuren eine eigene MOOC-Erfahrung zu vermitteln, und gleichzeitig die Diskussion über neues Lernen in den VHS zu führen. Eine Organisationentwicklungs-Maßnahme von unten also. Die hat immerhin 700 Teilnehmende aus ganz Deutschland erreicht, die sich auf vielfältigen Social Media-Kanälen von Facebook über YouTube und Blogs bis Twitter zur Neugestaltung von Lernen ausgetauscht haben. Wie bei jedem Kurs, hatte auch der vhsMOOC ein Ende, am 10. November 2013. Jetzt zünden die Initiatoren die nächste Stufe, ein reales Zusammentreffen ist geplant am 16./17. Mai 2014 in der VHS Köln. Und wieder haben die Macher ein innovatives Konferenz-Format dafür gewählt, dass man auch als Lern-Umgebung verstehen kann. Das vhsbarcamp 2014 läuft im Un-Konferenz-Format „BarCamp“. Dabei wird die Agenda ausschließlich aus Beiträgen der Teilnehmer – die man hier „Teilgeber“ nennt – gespeist. Die Agenda entsteht auch erst an jedem Morgen gemeinsam im Plenum. Wenn man so will, ist das die reale Umsetzung des interaktiven ungeregelten Austausches im Web 2.0, z.B. in den vielen Fachforen. Sehr geschickt, die VHS-Akteure hier wieder selbst in Web 2.0-ähnlicher Umgebung eigene Erfahrungen sammeln zu lassen. Und Konferenzen sind immer Lern-Veranstaltungen, diese setzt ganz nebenbei auch noch auf selbstorganisiertes Lernen.


Besser könnte sich auch eine hierarchisch geführte Organisation so einen Change-Prozess-Start nicht ausdenken. Da scheint die Zersplitterung in 900 unabhängige Einheiten sogar vorteilhaft zu sein. Wäre das eine Groß-Organisation mit Behörden-Struktur, dann gäbe es vermutlich diesen Prozess noch gar nicht. Ein aus meiner Sicht ermutigendes Zeichen für das Möglichmachen einer funktionierenden Netzwerk-Struktur unter den weiter selbständig agierenden VHS. Ein wenig mehr Unterstützung könnten die Macher aber schon gebrauchen. Eigentlich sollten alle Volkshochschul-Landesverbände und der Deutsche Volkshochschul Verband diesen extrem kostengünstigen Change-Prozess unterstützen. Dort scheint die Skepsis zu solch selbstorganisierten Prozessen der Experten vor Ort noch zu überwiegen. Vielleicht hat das ja ganz viel mit einem neuen Verständnis von Lernen zu tun: Lernen ist immer ein selbstorganisierter Prozess. Auch in einer lernenden Organisation.

Infos zum vhsbarcamp 2014 am 16./17. Mai in Köln: http://vhscamp.mixxt.de/. Nicht nur für VHS-Akteure, das ist offen für alle Learning Professionals.


10 Gedanken zu „Organisations-Entwicklung von unten – bei Volkshochschulen!“

  1. Liebe Claudia, ich stimme Ihnen zu. Herr Pape propagiert sehr intensiv das vernetzte e-learning. Wo es passt, da passt es. Wo liegt der große Vorteil der jetzigen vhs-Struktur? (Ich spreche von Bayern, ich komme aus München.) Gerade in der dezentralisierten, von den einzelnen Kommunen getragenen Organisation. Diese regionalen vhs kennen ihre Leute im Ort, im Gebiet. Sie kennen die besonderen Eigenheiten, Vorlieben, Meinungen und Bildungsbreiten aus erster Hand. Und Sie können bei der Auswahl ihrer Kurse und ihrer Dozenten genau darauf eingehen. Diesen Vorteil nenne ich „im Ort verwurzelt sein“. Gute und beliebte Trainer schlagen selbstverständlich Kurse und Themen vor.Die vhs sind dankbar, die Auswahl liegt natürlich bei den vhs. Und jetzt das aus meiner Sicht entscheidende. Volkshochschulen sind keine Universitäten mit straffen Lehrplänen. vhs sind Orte der Begegnung. Des Austausches. Des miteinander Redens. Der Gemeinsamkeiten – auch nach dem Kurs. Kursleiter, die „da hinein passen“ sind mit Recht beliebt und begehrt. In den E-Learning Phasen ist der soziale Kontakt zwischen Lernenden häufig eingeschränkt. Studien haben jedoch gezeigt, dass sich der Austausch von Lernenden untereinander positiv auf den Lernerfolg auswirkt, da das Verbalisieren und Diskutieren von Gelerntem zu einer vertieften Informationsverarbeitung führen.
    Abschließend meine Meinung. Präsenzveranstaltungen sind immer vorzuziehen. Wo es nötig ist, können sie mit e-learning ergänzt werden.

  2. Hi,hi. Wie wär’s denn mit Sessions a la “ 10 gute Gründe warum Lerner nicht selbst entscheiden dürfen und der Lehrer ein Lehrer bleiben muss.“ oder „Neuer hysterischer Unterricht besser als pseudo individuelle Lernumgebungen“ oder … Bist du dabei?

  3. Hej Karlheinz, hhmm vom Ansatz sehr gut. Nur wie soll das in der / in meiner Praxis funktionieren? Angenommen wir teilen einen Sprachkurs statt in 14 Abende in 14 Module. T1 wählt Modul „Begrüßung“, T2 Modul „Wie geht’s?“, T3 Modul „Einkauf“, T4 Modul „Einkauf + Urlaub“, T5 alle Module usw. Wer kann dann wann mit wem kommunizieren?
    So ab und zu muss man auch erst mal A sagen können, bevor man B sagen kann 😉
    Später kann der Teilnehmer – gerade im VHS Sprachangebot – sehr gut konkret wählen, was er lernen möchte. Da sind wir in der inhaltlichen Kursgestaltung flexibel und sehr nahe am Kunden. Behaupte ich jetzt mal. Viel dringender sehe ich die notwendige Veränderung des „wie“. Welche Lernmöglichkeiten können wir außerhalb des Klassenraumes anbieten. Meine Teilnehmer lieben es sich in echt zu treffen, Stühle hoch zustellen und „Streber“ zu rufen, wenn einer Hausaufgaben gemacht hat. Aber natürlich lernt jeder auf seine ganz persönliche Weise und kann nicht jeden Abend anwesend sein – dafür gibt es im Web ungeahnte Möglichkeiten und die gilt es zu verwirklichen.
    Ach und wenn Sprachunterricht mal so zerstückelt wird, dass alle nur noch einzelne Module buchen und ich nur noch jeweils das einzelne nachgefragte Modul unterrichte – dann höre ich auf. Es mag der Sieg der Selbstbestimmtheit des Lerners sein – es ist aber auch der Untergang des Lehrens. Einfach weil es todlangweilig ist. Das Allerschönste am Sprachen lehren ist nämlich die Entwicklung zu sehen wie sie von ersten Wörtern, über ganze Sätze hin zu langen Gesprächen sich ihre neue Sprache erobern.

    1. Hallo Claudia, Du beschreibst – ganz verständlich – sehr treffend die Sicht der Lehrenden. Wir Lehrende haben das Lernen in der Vergangenheit auch immer so bestimmt, wir haben den Weg vorgegeben, wir haben nach unseren (gut gemeinten) Vorstellungen Lerner „geführt“. Eigentlich müßten wir uns als Dienstleister für Lernende verstehen. Dienstleister stehen in der Hierarchie unter oder höchstens auf gleicher Augenhöhe mit ihren Auftraggebern, hier den Lernenden. Die Auftraggeber wählen aus, welche Diesntleistungen sie wann von ihren Dienstleistern haben wollen auf ihrem Weg der Entwicklung. Klar dürfen wir Empfehlungen abgeben, aber auch nicht sauer sein, wenn die Lerndenden uns gar nicht brauchen, oder nur Teile aus unserem Angebot haben wollen. Da wir das aber nicht gewohnt sind, haben wir natürlich Schwierigkeiten so etwas umzusetzen – wo wir doch so lange gebraucht haben, den alten Weg zu optimieren. Aber zur Entwicklung solcher Ideen dient ja das vhsbarcamp.

  4. Lieber Karlheinz, dein Beitrag gefällt mir. Richtig viele gute Aspekte.
    Völlig anderer Meinung bin ich bzgl. der Bewertung von Kursen. Online Kurse werden genauso bewertet werden von den Teilnehmern wie die Präsenzkurse, nämlich auch mit „… mit Durchhaltequote und Urteil am Ende – und mit der Zahl der Anmeldungen bei Folgekursen.“ Eine Online Bewertung macht es für Außenstehende sichtbarer, aber ich sehe dies weder uneingeschränkt als positiv noch als Motivationsfaktor für Kursleiter. Die Motivation von Kursleitern „gut“ zu sein, beruht viel eher darauf Kursteilnehmer zu halten (davon leben sie nämlich) als auf einer schlechten Online Bewertung. Aber diese offene Bewertung ist ein Thema für sich. Ich finde es sehr schwierig, da ich in meinen 30 Jahren Praxis den Begriff „guten Unterricht“ und „guter Kurs“ mehrfach revidiert habe. Und was ich nach allen Regeln der Kunst als gut bewertet habe, bei den Teilnehmenden ganz anders ankam 😉
    Das Einzige was ich an Weblern-Kursen so unendlich öde finde, ist das Unpersönliche. Die große Chance der VHS ist, dass sie aus dem Pool ihrer großartigen, kreativen, humorvollen, begeisternden Kursleiter heraus neue Mischlernformen gestalten kann. Nur das, glaube ich, sehen nicht allzu viele so. Fraktion A(nalog) will gar Nichts und Fraktion D(igital) will alles sofort, möglichst fertig gekauft, genormt, bewertbar usw. Aber wer weiß, bis dahin wünsche ich mir, dass dein Satz „würde man ungeheuer große Kapazitäten entdecken, die man für neue Lehr- und Lernangebote ganz anderer Art nutzen könnte.“
    in den VHS Ohren klingen wird 😉
    Herzliche Grüße,
    Claudia

    1. Hallo Claudia, Danke für Deinen netten Kommentar. Ich habe nicht den Eindruck, das die VHS sich nun hauptsächlich aufs Weblernen konzentrieren wollen. es gilt vielmehr neue, wirkungsvollere Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Menschen in der Region zu gestalten. Dabei würde ich auch das Durchhalten von Teilnehmern bis zum Ende des Kurses als Qualitätskriterium in Frage stellen. Die MOOC machen uns das vor: Auch da wird mit der alten Denke, Lernende müsse man führen, die Drop-Out-Quote gemessen. Wenn wir von autonomen Lernern ausgehen, müßten wir die Drop-In-Quote messen! Warum soll der Lerner nicht selbst entscheiden, welchen Teil des Angebotes er braucht, und welchen nicht. Also, wenn jemand sich nur einen Abend eines Kurses wählt, wäre es doch auch ok. Nur müßten wir Learning Professionals dann den Anspruch aufgeben, wir wüßten besser, was für Lernende gut und richtig ist.

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