Interview „Lernen 2.0 macht Teilnehmer zu Teilgebern“

Monika König

Lernen 2.0, was ist das und was ist da anders?

Karlheinz Pape

Das Web 2.0 wird auch „Mitmachweb“ genannt.

Für Kommunikation im Web ist der Antrieb zum Mitmachen der Wunsch nach eigener Entwicklung. Den Prozess nennen wir lernen.

Auffällig ist, wie Kommunikation im Web abläuft: – Selbstorganisiert – auf gleicher Augenhöhe – mit viel Wertschätzung – und immer freiwillig

Wenn dort Lernen ohne den Anstoß von anderen (Pädagogen, Trainer) und ohne didaktische Gestaltung stattfindet, dann sollten wir Learning Professionals gut hinschauen. Offensichtlich hat sich ohne unseren Einfluss eine Lernkultur ausgebildet, von der wir lernen können – z.B. dass dort die Rollen ständig wechseln: Jeder ist mal Beitragender und mal Aufnehmender..

Das ist für mich auch das Haupt-Kriterium für Lernen 2.0: Jeder ist abwechselnd mal Lehrender und mal Lernender. Man könnte auch sagen, wo Teilnehmer zu Teilgebern geworden sind, handelt es sich um Lernen 2.0.

Monika König

Das klingt so nach einer aktuelleren Version unseres Lernens?

Karlheinz Pape

So ist es natürlich nicht. Lernen ist immer noch dasselbe bei uns Menschen. Vielleicht sollten wir den Prozess des Lernens aber besser den Menschen selbst überlassen. Die können das nämlich sehr gut auch allein, und vielleicht sogar besser, als wenn wir diesen Prozess von außen steuern.

Monika König

Aber sind da nicht viele überfordert, wenn sie Selbstlern-Kompetenz zeigen müssen?

Karlheinz Pape

Das sagen Trainer und Pädagogen immer gern. Bevor Kinder in die Schule kommen, lernen sie ganz viel – ohne jegliche Anleitung. Zum Beispiel beherrscht ein dreijähriges Kind seine Muttersprache mit aller Grammatik vollständig. Das ist eine enorme Lern-Leistung, wie jeder weiß, der eine weitere Sprache gelernt hat.

Und in Unternehmen sagen wir ja auch, dass 80 bis 95% allen Lernens informell ist, also ohne didaktische Gestaltung, ganz und gar vom Einzelnen selbst gesteuert.

Damit wird schon deutlich, dass wir alle große Meister im Selbst-Erarbeiten, auch komplexer Dinge sind. Nur sagt dazu keiner, er habe gelernt. Der Begriff ist im Alltags-Verständnis stark mit formalem Lernen verknüpft.

Monika König

Heißt das, wir sollten die formalen Lern-Settings nicht mehr anbieten?

Karlheinz Pape

Nein, das will ich damit nicht sagen. Es gibt auch gute Gründe für das eine oder andere klassische Training. Z.B. wenn es mehr um für alle gleiche Informationen geht, kann ein klassisches Lern-Setting eine vernünftige Form sein.

Allein die eigentlich alte Erkenntnis, dass Lernen immer ein individueller Vorgang ist, der nur durch persönliche Lerner-Aktivität stattfindet, sollte uns viel öfter abhalten von gestalteten Lern-Maßnahmen für „Zielgruppen“.

Wir stellen uns dafür immer einen typischen Vertreter dieser Zielgruppe vor, für den wir das eLearning oder das Seminar entwickeln.

Die Person kommt aber nie. Da kommen ganz andere, mit anderen (unterschiedlichen) Vorkenntnissen und auch mit anderen Zielvorstellungen – die wir nicht einmal kennen.

Also die Idee, wir wüssten was für unsere Lernenden gut und richtig ist, und auf welche Weise sie sich den Stoff am besten erschließen, scheint mir grundsätzlich falsch zu sein.

Monika König

Du traust den Lernenden ja viel zu. Was ist dann die Rolle der Pädagogen und Trainer?

Karlheinz Pape

Aus meiner Sicht sollten wir nicht auf den Prozess des Lernens schauen. Den beherrschen wir Menschen so gut und perfekt, wie das Atmen und Verdauen – über deren Gestaltung wir ja auch nicht nachdenken müssen.

Von außen sollten Pädagogen und Trainer – aber auch Führungskräfte – auf die Entwicklung von Menschen schauen.

Entwicklung entsteht durch Annehmen von Herausforderungen. Im Beruf gibt es genug Herausforderungen, aber auch sonst im Leben. Den Weg dahin kann jeder auch allein finden.

Eine neue Rolle könnte eine echte Dienstleister-Rolle mit unterstützenden Angeboten für Lernende sein.

Wenn Lernende sich aus dem Angebot das heraussuchen können, was sie persönlich hilfreich auf dem Weg zum Ziel empfinden, dann sind die Lernenden die Auftraggeber für uns Dienstleister – und nicht umgekehrt.

Und bildlich steht der Auftraggeber über dem Dienstleister. Im besten Falle begegnen sich beide als Partner auf gleicher Augenhöhe.

Und damit sind wir wieder bei einem Grundprinzip des Web 2.0: Umgang auf gleicher Augenhöhe.

Monika König

Wie könnte so ein Lern-Setting konkret aussehen?

Karlheinz Pape:

Zunächst sollte man sich immer fragen, ob es dafür überhaupt eines besonderen Settings bedarf, oder ob z.B. die Mitarbeiter bei genügend klaren Zielen und einer Unterstützung der jeweiligen Führungskraft, auch allein dahin kommen.

Dann ist kreatives Beobachten gefragt, um herauszufinden, welche Dienstleistungen von den Lernenden wohl gefragt sein werden. Hier werden bei Lernenden mit jahrzehntelangen klassischen Bildungs-Erfahrungen sicher auch noch klassische Trainings als hilfreich angesehen.

Daneben sollten wir aber neue Lern-Erleichternde Dienstleistungen ausprobieren, wie z.B. Communites of Practice, konnektivistische cMOOC, BarCamps, usw.

Das sind alles Formate, bei denen sich die Dienstleistung ganz wenig bis gar nicht mit Inhalts-Aufbereitung und Darstellung schmückt. Dafür umso mehr, die Vernetzungs-Aufgabe zwischen den Lernenden und das Anstoßen, Triggern der Lernenden in den Vordergrund stellt.

Monika König

Du sprachst vom Konnektivismus. Kannst Du das noch kurz erläutern?

Karlheinz Pape

George Siemens und Stephen Downes, zwei kanadische Pädagogen waren unzufrieden mit alle den vielen Lern-Theorien und haben deshalb eine neue formuliert. Der Konnektivismus hat ganz verkürzt zwei wesentliche Aussagen:

  • Das Wissen liegt im Netzwerk
  • Lernen ist die Fähigkeit, Verbindungen in diesem Netzwerk zu knüpfen

Damit haben sie eigentlich die Funktion unseres Gehirns auf die Außenwelt übertragen. Und das erscheint sehr plausibel. Mit Netzwerk meinen sie nicht nur Menschen als Knotenpunkte, sondern ebenso Datenbanken, Bücher, Videos, Dokumente.
Dann sagen sie auch, das Wichtige ist nicht die Information, das Wissen. Das sei flüchtig. Das Wichtigste ist das Netzwerk, das lässt immer wieder neues Wissen anzapfen und zusammenstellen.

Monika König

Gibt es konkrete Umsetzungen für konnektivistische Lern-Settings?

Karlheinz Pape

Der erste MOOC war der Versuch einer Umsetzung. Alle cMOOC sind das bis heute.

Der Veranstalter

  • Gibt das Thema an
  • Legt Beginn- und Ende-Datum fest
  • Eröffnet jede Woche mit einem neuen Themenaspekt
  • Stellt relativ wenig Material dazu bereit
  • Regt die Teilnehmer an, sich damit und mit weiteren Quellen in der jeweiligen Woche öffentlich auseinander zu setzen
  • Gibt einen Hashtag vor, um alle Beiträge im Netz auffindbar zu machen
  • Gibt am Ende der Woche eine kurze Zusammenfassung von Erkenntnissen aus den sich gebildeten Communities an alle, damit sich jeder bei den ihn interessierenden einklinken kann

Kurz gesagt: Der Veranstalter schafft einen Rahmen, in dem der Austausch, das Bilden von Communities zu einem Thema möglich wird.
CMOOC-Veranstalter setzen auf die Selbstorganisation der Teilnehmer, auf deren Aktivität miteinander, und unterstützen eher bei der Community Bildung als mit Inhalten.
Damit trauen sie den „Teilgebern“ zu, dass sie das erfolgreich machen werden. Sie werten Teilgeber damit gegenüber üblichen Teilnehmern, denen man sagt, was sie zu jeder Zeit tun sollen, deutlich auf.

Monika König:

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, die meisten MOOC sind heute sog. xMOOC, und keine nach diesem Selbstorganisations-Prinzip ablaufenden cMOOC.
Du sprachst von BarCamps. Fallen die in die gleiche Kategorie?

Karlheinz Pape

Auch BarCamps sind besondere Lernumgebungen, die nur den Rahmen für Lernen schaffen. Die Veranstalter verzichten sogar gänzlich auf durch sie eingebrachte Inhalte
Zur Erläuterung: BarCamps gehören zu den Un-Konferenzen, die entstanden sind, nach dem Konferenzteilnehmer hinterher immer wieder sagten, das Beste waren die Pausen.
In den Pausen suchen sich die Menschen die Gesprächspartner selbst, und die Themen über die sie sprechen möchten.

Genau das organisiert man in einem BarCamp. Man beginnt morgens mit einer leeren Tages-Agenda, und fragt dann, wer eine Session gestalten möchte. So füllt sich dann die Agenda in mehreren Räumen parallel und für jede Stunde mit neuen Sessions. Nach der Sessionplanung sucht sich jetzt jeder „Teilgeber“ die ihn am meisten interessierende Session. In den Sessions wird oft viel diskutiert, so dass man ganz viele Perspektiven zu einem Thema erfährt. Das macht es leichter sich sein eigenes Bild zusammenzusetzen, als wenn nur ein Trainer seine Perspektive darstellt.

Monika König:

Wie reagieren Teilnehmer oder besser „Teilgeber“ nach BarCamps?

Karlheinz Pape

Das ist es, was uns so antreibt: Die sind i.d.R. alle abends wirklich glücklich. Nur fröhliche entspannte Gesichter, obwohl so ein BarCamp-Tag sehr dicht gedrängt ist. Nach einem halben Tag voller klassischer Vorträge ist man ja meist schon geschafft.
BarCamp-Teilgeber sagen zudem häufig, dass sie noch nie so viel gelernt haben. Und das, obwohl es für die meisten Sessions keine didaktische Vorbereitung, und keine Folien gibt. Wenn wir mehr lernen ohne Didaktik, sollte uns das mindestens nachdenklich machen

Auch wirtschaftlich ist das BarCamp als Lernumgebung interessant: Keine aufwändige inhaltliche Vorbereitung ist nötig. Kein Experte muss eingeladen und bezahlt werden. Im Plenum sitzt eben mehr Expertise als aufs Podium passt.

BarCamps sind aus meiner Sicht gute Beispiele für Lernen 2.0
Aber BarCamps sind nur eine Form von vielen für Lernen 2.0

Monika König

Nenn uns noch ein paar andere Lernen 2.0 Formate, die Teilnehmer zu Teilgebern machen

Karlheinz Pape

Bei vielen spricht man gar nicht von Lernen. Das ist aber wesentlicher Inhalt bei:

  • Communities of Practice
  • World Cafe
  • Open Space
  • SCRUM
  • Design Thinking
  • cMOOC
  • Hackathon
  • Internet-oder Intranet-Foren
  • Wiki-Gemeinschaften
  • Blogs, öffentlich oder Organisationsintern
  • MicroBlogs, öffentlich oder Organisationsintern

Aber auch viele neue selbstorganisierte Formate etablieren sich gerade, wie z.B.:

  • WebMontag
  • Creative Monday
  • Ignite
  • PechaKuchaNight
  • Twittwoch
  • Lernen 2.0 Stammtisch
  • Social Bar
  • PHP User Group
  • Agile Monday
  • und viele mehr.

Die Liste ist heute schon sehr lang, Tendenz steigend, weil die Menschen diese selbstorganisierte und gleichberechtigte Austauschform offensichtlich sehr schätzen.

Monika König

Danke für das Interview!

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