Fach-Messe neu denken

Das Erleben des Open Summit als BarCamp auf der Messe CO-REACH in Nürnberg lässt mich nicht mehr los. In der Kombination BarCamp und Messe steckt noch weiteres Potential, so mein erster Eindruck, gleich nach dem Messebesuch. Deshalb erst einmal der Blick von außen auf eine ganz normale Fach-Messe:

Foto: Karlheinz Pape CC BY

Foto: Karlheinz Pape CC BY

Wem sollen Fach-Messen dienen? Was erwarten diese Menschen?

Aus meiner Sicht gibt es zwei große Gruppen von Fach-Messe-Besuchern.

  • Die einen suchen ganz konkrete Lösungen für ihre aktuellen Probleme.
  • Die anderen möchten sich orientieren, ob und was sich in ihrem Arbeitsumfeld gerade ändert.

Ich vermute, die erste Gruppe, die nach Lösungen sucht, ist die größere. Und nur die ist ja eigentlich für die Messe-Aussteller interessant. Betrachten wir also die Gruppe der Problem-Lösungs-Sucher genauer. Stellen wir uns vor, ein Verantwortlicher einer Weiterbildungsorganisation eines mittleren Unternehmens kommt auf eine einschlägige Fach-Messe, weil er in seiner Organisation ein Learning Management System (LMS) zur Kurs- und Teilnehmerverwaltung einführen will.

Seine Vorstellungen, was das LMS bei ihm leisten soll, sind aus seiner Sicht recht konkret. Aber er hat noch nicht mit so einem LMS gearbeitet, und kennt damit auch nicht die weiteren Möglichkeiten und auch nicht die vielen Schwierigkeiten, die nach der Einführung auftreten können. Mit diesen Vorstellungen geht er heute nacheinander an die Stände verschiedener Anbieter. An jedem Stand wird er vermutlich freundlich aufgenommen. Dort wird man sich bemühen, ihm die Vorteile der jeweiligen Lösung deutlich zu machen. Nach fünf oder sechs solcher Beratungen merkt unser Fachbesucher, dass er trotz der vielen Informationen eher unsicherer geworden ist. Seine Entscheidung kann noch gar nicht fallen, er muss erst noch tiefer in das Thema einsteigen. Etwas frustriert fährt er abends wieder nach Hause. Er weiß auch noch nicht, was er seinem Chef morgen berichten will.

Bild: Karlheinz Pape CC BY

Bild: Karlheinz Pape CC BY

Wie könnte eine Messe diesen Fach-Besucher besser bedienen?

Im oben genannten Beispiel baut sich der Fach-Besucher sein Bild über eine mögliche Lösung aus Anbieter-Gesprächen zusammen. Diese Gespräche werden von den Anbietern aber alle verkaufs-interesse-geleitet geführt. Über mögliche Schwierigkeiten wird man hier kaum reden. Das weiß unser Fachbesucher auch, aber das hilft ihm nicht, sein Bild von einer guten Lösung wirklich rund zu machen.

Nun sind auf einer Messe aber ganz viele Besucher, die ihm vermutlich mit eigenen Erfahrungen besser helfen könnten, als die verkaufen-wollenden Anbieter. Welch einen Mehrwert könnte eine Messe bieten, wenn es gelänge, das Wissen der vielen Fachbesucher gegenseitig verfügbar zu machen.

Stellen wir uns wieder unseren Fachbesucher oben vor. Auf dieser neuen Messe geht er zunächst zur zentralen Kommunikations-Plattform, auf der sich alle 2 Stunden alle neuen Besucher sammeln, um die Erfahrungs-Kommunikation unter den Besuchern für die nächsten 2 Stunden zu planen. Jeder darf hier seine Frage einbringen, eigene Erfahrungen für andere anbieten, aber auch Themen-Diskussionen anbieten. Unser Fach-Besucher wird hier die Frage stellen: „Worauf muss man achten beim Einsatz eines LMS in einem mittleren Unternehmen?“

Die zentrale Kommunikations-Plattform ist ein immer wieder beginnendes BarCamp mit 30 Minuten-Sessions. Hier geht es um den Austausch unter anwesenden Besuchern auf gleicher Augenhöhe. Die ständig aktualisierten Sessionpläne werden mit Raumangaben auf der gesamten Messe gut sichtbar für alle dargestellt. Jeder, der sich für ein Thema auch interessiert, kann dazu kommen. Auch Anbieter natürlich, nur Verkaufsgespräche sind in den Sessions tabu.

Unser Fach-Besucher hat Glück. Tatsächlich gab es einige Kollegen aus anderen Unternehmen, die ihm ihre Erfahrungen in einer Session geschildert haben. Er weiß jetzt viel besser, was wichtig ist, und welche Fragen er bei den Anbietern stellen muss. Und so ganz nebenbei hat er auch noch Kontakte geknüpft. Von drei Kollegen hat er Visitenkarten bekommen. Er darf sie anrufen, wenn er weitere Fragen hat. Am nächsten Morgen berichtet er seinem Chef, nur 2 der vielen Anbieter kommen für sie in Frage. Und für die Einführung kann er sich Erfahrungen aus drei anderen Unternehmen abholen.

Bild: Karlheinz Pape CC BY

Bild: Karlheinz Pape CC BY

Mehrwert für Fach-Besucher und für Aussteller

Dieses Modell basiert auf zwei gedachten Messe-Schwerpunkten,

  • der konventionellen Anbieter-Messe mit Messeständen – hier haben die Anbieter „das Sagen“
  • und der Besucher-Messe als Kommunikations-Plattform, auf der die Besucher „das Sagen“ haben.

Messe-Besucher bekommen damit nicht nur zusätzliche neutrale Informationen, sie spüren auch eine deutliche Aufwertung. Sie sind gefragt, ihr Expertenstatus darf und soll hier sichtbar werden. Und reales Community-Building ist ebenfalls auf ganz einfache Weise möglich.

Die Anbieter profitieren ebenfalls doppelt:

  • besser informierte Nachfrager lassen schneller zum Abschluss kommen
  • und ein Beobachten der BarCamp-Sessions zeigt aktuelle Trends und Erfahrungen der potentiellen Kunden

Das ist noch eine Vision

Fach-Besucher werden ihre Gewohnheiten nicht alle gleichzeitig ändern. Aber das Beispiel Open Summit der CO-REACH von NürnbergMesse zeigt, dass es gelingt, Messe-Besucher auch zu BarCamp-Sessions zu bewegen. Wenn sich dann noch rumspricht, dass man sich dort viele neutrale Infos von Kolleginnen und Kollegen anderer Unternehmen holen kann, dürften die Teilgeber-Zahlen (Session-Besucher) deutlich steigen.

Fazit aus Sicht eines Learning-Professionals

Messen sind Lern-Umgebungen! Lernen findet immer statt, wenn man eine Herausforderung zu lösen beginnt. Zu Messen kommen Menschen, die ein Problem lösen wollen. Die sind froh, wenn ihnen das möglichst leicht gemacht wird. So eine besucherorientierte Aktiv-Messe bietet die Rahmenbedingungen für leichteres Lernen.

2 Gedanken zu „Fach-Messe neu denken“

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