DB Training will nicht mehr unterrichten

Der große interne Weiterbildungsdienstleister der Deutschen Bahn, DB Training stellt sich radikal um. Output-Didaktik statt Input-Didaktik ist das Ziel, dem sich alle 900 Mitarbeiter bei DB Training verpflichten. Damit der Wandel vom Wissensvermittler zum Lernbegleiter funktioniert, sind für jeden der 650 Trainer ganze 9 Tage Weiterbildung vorgesehen.

Bild: KhPape CC BY

Carlo Matthias Enk leitet bei DB-Training dieses Mammut-Projekt. Bei einem Treffen der Corporate Learning Community – CLC HESSENMETALL  im April 2015 hat er das laufende Projekt mit dem Namen „Pädagogische Professionalisierung“ eindrucksvoll dargestellt. Allein die geplante Projektlaufzeit – die ersten Anfänge gab es schon 2011 und es entwickelt sich noch immer – spricht für die langfristige Durchhaltestärke dieser Groß-Organisation. Und wenn man nur die Kosten abschätzt: Bei 9 Tagen Weiterbildung für 650 Trainer sind schon die Arbeitszeit- und Reisekosten ein Millionenbetrag. Die übrige Mannschaft, von den Lern-Designern bis zu den Führungskräften, müssen sich ebenfalls in formalen Weiterbildungs-Settings mit dem neuen Modell vertraut machen.

Natürlich sind diese Weiterbildungen schon erste Muster für die Art von Lernen, die man künftig von allen Mitarbeitern der Deutschen Bahn erwartet. Lernen soll selbstgesteuert ablaufen. Etwas sich selbst erarbeiten ist der Schlüssel zu nachhaltigem Lernen sagt Carlo Matthias Enk. Nachhaltig bedeutet hier persönliches Können aufgebaut zu haben. Und das erreicht man nur durch Tun, möglichst sogar an realen Aufgaben am eigenen Arbeitsplatz. Im Klassenraum wird das Ziel wohl kaum erreicht. „Können“ kann ein Trainer auch nicht „vermitteln“. Es ist erstaunlich, welch enorme Veränderungskraft eine scheinbar kleine Ziel-Verschiebung hin zum Können der Lernenden bei der Gestaltung von Lern-Settings entwickelt.

Bild: KhPape CC BY

Bild: KhPape CC BY

Carlo Matthias Enk berichtet sogar über Begeisterung bei den Trainern für diese neue Ausrichtung. Dass der neue Weg auf keinen Fall eine Kritik am bisherigen Vorgehen der Trainer sei, betont er mehrmals. Offenbar hat DB Training mit der Verschiebung der Aufmerksamkeit vom Lehren zum Lernen bei den 650 Trainern den richtigen Zugang gefunden. Schon das scheint mir große Kunst zu sein, rührt es doch am jahrelangen Selbstverständnis dieser Berufsgruppe.

Pädagogische Professionalisierung

„Pädagogische Professionalisierung“ basiert auf den Ideen der Ermöglichungsdidaktik von Prof. Rolf Arnold. Er begleitet auch das Projekt, aber die eigentliche Entwicklung erfolgt „aus der Mitte der DB Trainingsorganisation“, wie Carlo Matthias Enk sagt. Mitarbeiter und Führungskräfte haben sich Handlungsfelder und Umsetzungsstrategien selbst erarbeitet. Das Handlungsfeld Nr. 1 z.B., die „Pädagogische Charta DB Training“: Die wurde ausschließlich von Mitarbeitern erarbeitet, und bewusst ohne Veränderungen von den Führungskräften unterschrieben. Hier die 10 so identifizierten Handlungsfelder:

  1. Pädagogische Charta DB Training
  2. Lernmodell DB Training
  3. Aktualisierung der Kompetenzprofile bei DB Training
  4. Pädagogische Qualifizierung der Lernbegleiter
  5. Führung im Lernkulturwandel
  6. Professionelle Vernetzung (zur Selbstreflexion und gegenseitigen Unterstützung)
  7. Stärkung des Selbstlernens (Verbesserung von Rahmenbedingungen fürs Selbstlernen)
  8. Bedarfserschließung (Was brauchen unsere Kunden wirklich)
  9. Kompetenzdiagnostik
  10. Gestaltung der Infrastruktur

Interessant scheint mir auch, dass die „Professionelle Vernetzung“ explizit zu den 10 Handlungsfeldern zählt. DB Training hat allein in Deutschland 70 Trainings-Standorte. Trainer sind damit viel unterwegs und meist auf sich gestellt. Das Potential des – selbständigen – Lernens von den Kolleginnen und Kollegen wird bisher kaum genutzt. Da erscheint es klug, die Vernetzung unter den Trainern zu fördern. Zum einen, weil sich damit Wissen und Erfahrungen vermehren, und zum anderen weil man sich damit Feedback von Kolleginnen und Kollegen holen kann. Das Handlungsfeld halte ich für viele Trainings-Organisationen empfehlenswert.

Bild: KhPape CC BY

Bild: KhPape CC BY

Lernbegleiter statt Wissensvermittler

Das klingt so einfach. Tatsächlich erfordert das eine grundsätzliche Haltungsänderung. Und innere Haltung kann man nicht anweisen, auch nicht trainieren. Vorleben, immer wieder anregen, und das eigene Handeln reflektieren, sind die einzigen Möglichkeiten innere Haltung zu verändern. Deshalb klingt es plausibel, wenn DB Training hier mehrere Jahre mit der gesamten Mannschaft einplant. In allen Besprechungen, in allen Weiterbildungen wird das thematisiert. In den Weiterbildungen für die eigenen Führungskräfte und Mitarbeiter gilt natürlich das „Selbst-Erarbeitungs-Prinzip“, so wie es bei den Lern-Settings für die Kunden auch erwartet wird.

DSCN3673

Bild: KhPape CC BY

Es reicht aber nicht innere Haltung zu verändern, sagt Carlo Matthias Enk, das Handwerkszeug braucht man auch. Deshalb gibt es für alle Trainer eine „Kompetenzbox Pädagogik“ mit Anleitungen zum Einsatz verschiedener Methoden, die das Selbstlernen unterstützen. Auch gibt es einen internen Blog mit Infos und Neuigkeiten zum Lernen für alle Interessierten, einen wöchentlichen Newsletter für alle Trainer und eine Handlungshilfe zur Trainingsentwicklung im neuen Format. Demnächst wird eine zunächst interne, später möglicherweise auch extern erhältliche App für Smartphones mit dem Namen „Methodenzirkel“ verteilt. Damit sich jeder Trainer auch schnell mal in der Pause Ideen holen kann.

Lernen möglichst an echten Aufgaben

Können erlangt man nicht im Klassenraum. An den echten Aufgaben, möglichst am Arbeitsplatz, kann sich Können durch eigenes Tun ausprägen. Das wird die typischen Lernorte verändern – und die Begleitung durch Trainer oder besser Lernbegleiter. Es gibt inzwischen andere Möglichkeiten, als Lerngruppen gemeinsam zum Trainer zu bringen. Lernbegleiter können auch aus der Ferne agieren, die technische Vernetzung macht es möglich. Darüber kann auch aufbereitetes Wissen abrufbar bereitgestellt werden. Lernbegleiter müssen dann kein Wissen mehr vermitteln. Sie sind Tipp-Geber, Feedback-Geber, Vernetzer mit anderen Experten oder Lernern und am Ende Bestätiger des Könnens, Zertifizierer.

Bild: KhPape CC BY

Bild: KhPape CC BY

Trotzdem wird es bei DB-Training auch künftig Klassenraum-Trainings geben. Nicht alles kann man am echten Arbeitsplatz durch Selbsterarbeiten und Ausprobieren machen. Lokführer sind nur eines von vielen Beispielen mit sicherheitsrelevanten Aufgaben, die am Arbeitsplatz perfektes Können erfordern. Können muss hier erworben werden in Simulations-Umgebungen oder in real nachgebildeten Übungs-Situationen. Das Wechseln einer Schubstange eines Weichenantriebes kann man sich auch selbständig erarbeiten, wenn dies in einer Übungs-Gleisanlage geschieht. Dem Selbsterarbeitungsprinzip sind also kaum Grenzen gesetzt.

Hut ab!

Ich war beeindruckt, dass so ein Großkonzern mit einer riesigen internen Weiterbildungsabteilung mit 900 Mitarbeitern, mit ganz hohen Sicherheitsanforderungen, mit vielen gesetzlich vorgeschriebenen Trainings, mit einem sicher immer noch wirkenden Behördenhintergrund, in ihren künftigen Lernsettings Selbstlernen einfordert, Lernen nicht mehr als Aufnehmen von vorbereiteten Inhalten versteht, sondern Lernen als aktive und individuelle Erarbeitungsleistung der Lernenden betrachtet. Teilnehmer, die das das erste Mal erleben, sind zunächst verunsichert, weil sie jetzt selber tun müssen, statt zu konsumieren. Danach machen aber wohl alle sogar gern mit, wenn ich Carlo Matthias Enk richtig verstanden habe.

Also, wenn die Deutsche Bahn Lernen als Selbstlernen definieren kann, dann gibt es für andere Organisationen eigentlich keine Ausrede mehr, das das nicht ginge. Nur: Durchhalten muss man mit der Strategie – jahrelang.

11 Gedanken zu „DB Training will nicht mehr unterrichten“

  1. Lieber Karlheinz!

    Ich habe deinen Blogbeitrag gelesen und an vielen Stellen dachte ich: Sehr schön, da tut sich was, ach was rede ich, es ist ein Erdrutsch!

    Viele deiner Wendungen erinnern mich an unsere „Hausdomäne“, die Trainerausbildung im Sport, in der wir seit Jahren aktiv sind und gute Beispiele für einen organisationalen Change zeigen können.

    Da geht es ja auch neben Fachwissen um Können und ProblemLÖSEkompetenz. Authentische Aufgaben, Situierung des Problems, Tun & Reflexion, kollegialer Erfahrungsaustausch bei einer Mischung aus Online und Präsenz, synchron und asynchron sowie moderne Videoarbeit (Social Video Learning) sind die Mittel der Wahl. Und Pioniere, die schieben, begeistern und vorleben!

    Dort haben wir im Laufe der Zeit festgestellt, dass das Motto „from teaching to learning“ nicht funktioniert. Wenn man anfängt ist dieser radikale Blick gut, um den Unterschied sichtbar zu machen (weg vom Nürnberger Trichter). Aber sobald man auf dem Weg ist, kommt einem doch wieder die große Bedeutung der Lehrenden, der Betreuer, der Kontextgestalter in den Sinn. Lehren und Lernen bilden zwei Seiten ein und desselben Phänomens. Nur erscheint uns der Lehrbegriff nicht mehr modern, anschlussfähig an das, was wir „professionell“ nennen. Nun gut.

    Was ich sage möchte lässt sich schwer in markige Sprüche oder anschauliche Wechselbilder bringen: Es geht um Balance (sehr verschiedener Methoden und Strategien), teilweise auch das gekonnte Aushalten von Widersprüchen.

    Wer eher daran interessiert ist, wie wir das im Sport bei den Trainern und Trainerinnen praktisch umsetzen, die sog. Kompetenzorientierung, der oder die ist zum nächsten Webinar herzlich eingeladen. https://attendee.gotowebinar.com/register/185480280233195009

    Also, über den Tellerrand :), viele Grüße! Frank

    1. Lieber Frank,
      Danke für Deinen Kommentar. Den Weg vom Lehren zum Lernen kann man aus meiner Sicht nicht so einfach gehen, in dem man einfach eine Methode wechselt. Hier geht es um eine andere innere Haltung der ehemals Lehrenden, herunter vom hohen Roß der „Besser-Wissenden“ auf die gleiche Höhe der erwachsenen Lernenden. Der einzige Unterschied: Die neuen Lernbegleiter waren schon mal dort, wo die Lernenden noch hinkommen wollen. Sie können wie ein Reiseführer auch auf Schwierigkeiten auf dem Weg hinweisen, auf alternative Wege und auch auf Service-Stationen, die man auf dem Weg nutzen kann. Und irgendwie gehört zu der neuen Rolle auch das höchst interessierte Hinschauen, ob vielleicht einer der Lernenden einen ganz neuen Weg zum Ziel findet. Dann wirkt Lehren und Lernen für mich nicht mehr wie die „zwei Seiten des selben Phänomens“.

      1. Lieber Karlheinz,
        ich steige gleich ohne Vorrede ein 🙂
        Ja, richtig, so einfach geht das nicht mit der Haltung, die ich ebenfalls für ent-SCHEIDEND halte. Aber wie ändern wir Haltungen? Schweres Kaliber! Meine Erfahrung ist die, dass wir die (normativen) Vorstellungen von einem besseren Lernen über die neuen Werkzeuge / Methoden einführen und Schritt für Schritt entfalten, besser, kultivieren (Idee steckt bestenfalls im Werkzeug). Und genau das Gleiche gilt für die Lehrenden: Sie entdecken sich neu, sie selbst verändern sich, wo sollen sie denn sonst herkommen? Im Sport gibt es viele Trainer, die noch eher klassisch unterrichten, noch! Mit den neuen Möglichkeiten der Bildungstechnologien stellen sie fest, dass eine Vor- und Nachbereitung die Präsenz verändert, sie stellen fest, dass bisherige Ziele wie Reflexion im neuen Modus viel besser funktionieren, sie stellen fest, wie jeder Einzelne anfängt zu sprechen, auch die sog. Stillen, stellen fest, wie auf Feedback reagiert wird. Sie entdecken für sich eine „neue“ Rolle/Haltung, die Spaß macht, obwohl (!) es Kraft kostet. Und dann dreht sich die Nase: Dann erstellen Tn AUCH Videos, schreiben AUCH Blogbeiträge, zeigen neue Wege des Lernens und Problemlösen auf. Wir haben in kleinen Kursen bis zu 2500 Artefakte, die erzeugt und diskutiert werden – Bum! Genau das verändert dann auch die Lehrenden, die TrainerInnen, denn auf einmal hat der Energiestrom keine Richtung mehr, sondern zirkuliert, eingerahmt durch Lernende und Lehrende. Zwei Seiten desselben Phänomens, ich bleibe dabei.

        Viele Grüße! Frank

        1. Das hast Du ja schön ausgedrückt: „denn auf einmal hat der Energiestrom keine Richtung mehr, sondern zirkuliert, …“. Ja, das ist es, was anders ist. Nur sind die Lehrenden und die Lernenden jetzt gleichberechtigte Verursacher und gleichzeitig Empfänger dieses „Energiestromes“. Und damit sehe ich keine zwei Seiten eines Phänomens mehr, alle sind in fast gleicher Weise am Zustandebringen beteiligt.

  2. Hat dies auf BlendedSolutions's Blog rebloggt und kommentierte:
    Karlheinz Pape beschreibt in seinem Blog sehr anschaulich die Konzeption der Pädagogischen Professionalisierung in der Deutschen Bahn AG, DB Training, die wiederum die Grundlage für das Projekt NextEducation bildet. In diesem Projekt, das wir nunmehr seit einem Jahr wissenschaftlich und in der Umsetzung begleiten, wird ein kompetenzorientiertes Lernsystem realisiert, das Über Blended Learning und Social Blended Learning bis zum Workplace Learning führen soll.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert